ABSCHIED NEHMEN, TRAUER BRAUCHT IHRE ZEIT!

Meine Maske sollte niemand abreißen, ich nehme sie ab, wenn die Zeit für mich gekommen ist.

Kann ich Abschied nehmen und am Ende der Trauer ist alles gut? Ich behaupte, nein!

Es ist besser, vielleicht sogar viel besser geworden, ich habe mich eingerichtet in diesem neuen Leben, aber immer wieder kommt das Gefühl hoch, etwas Schönes verloren zu haben. Die Leichtigkeit des Hörens, der Musikgenuss, das Verfolgen und die Teilnahme bei Diskussionen, die Feier großer Feste mit Tanz und Gesprächen, Lesen und mit einem Auge oder Ohr im Fernsehen etwas verfolgen, eine kleine Kinderstimme hören – es ist verloren oder fast verloren. Das vermisst man einfach urplötzlich ganz schmerzlich, auch wenn man schon lange Abschied genommen hat - immer wieder!

Ganz plötzlich kann ich in eine Situation geraten, die mir die Grenzen meines Verstehens aufzeigt. Ich bin außen vor.

So ist es mir einmal vor gar nicht so langer Zeit in der Kirche ergangen. Mein Platz am Lautsprecher war besetzt – ich war wieder einmal spät und saß in der Kinderbank. Ich verstand von der Predigt, den Gebeten und Fürbitten nicht gerade viel, die Lieder erkannte ich nicht wieder, da ich auch noch mein Gebetbuch vergessen hatte. Beim Friedensgruß übersahen mich die Kinder. Anstatt selbst aktiv zu werden, stand ich dort und fühlte mich alleine, wie von einer gläsernen Wand von den anderen Kirchgängern getrennt, war müde und niedergeschlagen.

Zuhause schrieb ich dies einer ebenfalls schwerhörigen Freundin in einer E-Mail. Ihre verständnisvolle aufmunternde Antwort hat mich dann aus meinem Selbstmitleid geholt, und ich beschloss, demnächst frühzeitig in die Messe zu gehen, damit ich meinen Stammplatz zum guten Verstehen frei habe, ein Gebetbuch mitzunehmen, um zu wissen, welches Lied gesungen wird. Die Erinnerung an bekannte Lieder verhilft mir dann zur Melodie und ich traue mich, mitzusingen. Ja, und beim Friedensgruß hätte ich auch auf die Kinder zugehen können.

Gibt es nur eine Form der Trauer? Mit Sicherheit nicht. So verschieden wir leben, fühlen, lachen, lieben, so unterschiedlich fällt unsere Trauer aus. Der eine geht nach kurzer Zeit gestärkt aus dieser Phase hervor, der andere braucht Jahre, der eine durchsteht die Zeit lieber alleine, der andere braucht die Nähe und Hilfe von Freunden und Familie.

Trauerarbeit – ein Wort, das ich nicht so besonders gerne mag. Es sieht so leicht aus: Ich arbeite an meiner Trauer und dann ist sie weg, bin ich damit fertig.

Aber die Trauer arbeitet auch in mir, verändert mich. Ich habe nicht alles in der Hand, muss Dinge zulassen. Und das ist etwas, was wir „modernen“ Menschen nicht so gerne haben.

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