Mein Weg zur neuen Identität
Mein Weg zur neuen Identität als Hörgeschädigte war lang. Ich war ja nicht schwerhörig, ich hörte nur nicht so gut. Konnte und machte alles wie vorher. Das sollte nicht ohne Folgen bleiben:
- Scham – Hörgeräte wurden unter den Haaren versteckt, Außenstehende wurden nicht informiert, ich gab nicht zu, wenn ich etwas nicht verstand – ein unendliches Thema.
- Selbstbeschimpfung – (Du bist zu blöde…)
- Leugnen – Der andere nuschelt, darum verstehe ich nicht. Interessiert mich sowieso nicht. . Mich mit anderen Schwerhörigen zusammentun? Das waren doch sicher alte Tanten, die so gar nichts mehr verstanden, ich war doch normal hörend, hörte eben nur nicht mehr so gut.
- Schauspielern – (Lachen, wenn man nichts verstanden hat)
- Lügen – (Gründe erfinden, warum man nichts verstanden hat.)
- Übertriebene Anpassung – Wenn ich schon nicht mehr mithalten konnte, wollte ich wenigstens anerkannt, geliebt werden, weil ich doch sooo verständnisvoll, lustig, tolerant bin. Nix da – ich wurde ein „Weichei“, verbog mich.
- Angst – Bloß nicht ans Telefon gehen, verstehe vielleicht wieder einmal die Hälfte nicht.
- Festklammern an das alte Leben – Geht schon, ist halt ein wenig schwieriger, aber geht schon…
- Kämpfen bis zur Erschöpfung – bloß nichts ändern müssen
- Erkennen –, (zum Schluss) dass es so nicht weitergeht…
Es war nicht so, dass ich eines Morgens aufstand und den Entschluss fasste, mein Leben umzukrempeln. Nein, die Erkenntnis brach einfach über mich herein. Es war ein ganz kleiner, scheinbar unbedeutender Auslöser:
Ich kam an einem Spiegel vorbei, wollte mich eigentlich gar nicht betrachten, sah aber zufällig mein Gesicht und blieb wie vom Donner gerührt stehen. So müde, tiefliegende, traurige Augen! Da wurde mir ganz plötzlich klar, dass ich mich neu orientieren musste.