Eine Spirale der Verluste
Der Besuch beim HNO-Arzt war für mich im wahrsten Sinne des Wortes erschütternd. Auf der Rückfahrt im Auto merkte ich, wie die Tränen hochstiegen. Ich unterdrückte sie tapfer mit aller Kraft, ich wollte stark sein, stark bleiben.
Heute denke ich, hättest du das doch nicht gemacht. Die Tränen hätten dir geholfen, dich zu befreien, leichter zu werden, deine Schwäche zu erkennen und zuzugeben.
Aber dazwischen liegen auch 18 – ich wiederhole – 18 Jahre Erfahrung, Kämpfe, Minderwertigkeitsgefühle, Leid, Unsicherheit, Überheblichkeit, Angst, Mutlosigkeit, Wut, Niedergeschlagenheit, Resignation, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Angst, Hilflosigkeit, Verletzlichkeit, Depressionen. Das waren MEINE wechselnden Gefühle der Trauer – eine Achterbahn. IHRE Gefühle decken sich da zum größten Teil offensichtlich.
Der Abschied von meinem gewohnten Leben, mit dem ich ja äußerst zufrieden, glücklich war, habe ich nicht kampflos über mich ergehen lassen. Ja, es war mir trotz meiner Erfahrung als Kind einer Schwerhörigen überhaupt nicht klar, was sich alles ändern würde.
Die Spirale der Verluste – meine Schwerhörigkeit wurde ja immer gravierender, sagen wir ruhig, immer schlimmer - führte mich bis zu einem Punkt der Erschöpfung, an dem ich dann kapitulierte. Ich bin ein lebensfroher Mensch und wollte es auch bleiben. Die einzige Möglichkeit war, mich von meinen Erwartungen, meinem alten Leben zu verabschieden und mein neues Leben mit den zum Teil reduzierten Möglichkeiten anzunehmen.
Dies brauchte mir niemand zu erklären – ich hätte es auch von keinem Menschen akzeptiert – es war mir auf einmal klar. Allerdings erst, als ich ganz „unten“ war.
Das alles hatte 14 Jahre lang gedauert. Solange hatte ich gegen die Folgen meiner zunehmenden Behinderung gekämpft. Das Schlimmste in dieser langen Zeit der Verluste war – im Rückblick gesehen, dass ich es nicht geschafft habe, meine Gefühle mir und anderen zu offenbaren, ja, ich war mir noch nicht einmal selber darüber im Klaren, was ich empfand.
Ich klammerte mich mit aller Macht an mein altes Leben und konnte diesen Kampf nicht gewinnen, ließ nur viel Kraft dabei.