FORUM 27 Sommer 2007, S. 36 ff,
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Referat, bei dem das Thema Trauer und Hörverlust im Mittelpunkt standen. Der Zusammenhang ist vielen Spätertaubten nicht bewusst. Die Trauerarbeit ist eine wichtige Phase, in der die Gefühle des Verlusts zugelassen werden, aber auch die Akzeptanz und das Loslassen eine große Rolle spielen.
Verlust - Abschied - Trauer
(Mein) Leben mit der Schwerhörigkeit
Dagmar Terporten, Brüggen
Mein Name ist Dagmar Terporten, ich bin 60 Jahre alt, seit ca. 18 Jahren schwerhörig, davon die letzten 10 Jahre an Taubheit grenzend. Als Herr Pfarrer Sommermann mir im März das Thema „Trauer“ anvertraute, konnte ich zunächst nichts damit anfangen, hatte ich gar keine Lust, mich überhaupt mit diesem Thema zu beschäftigen. Es ging es mir doch richtig gut: Ich hatte mich zum CI entschlossen, das Ende des Winters und der Beginn des Frühjahrs brachten Schwung in mein Leben, und vor allen Dingen meine Enkelin wurde geboren.
Mit Trauer hatte ich nichts am Hut. Hatte ich mich doch in meinem neuen Leben als Schwerhörige nach einer langen Zeit der Trauer eigentlich recht gut eingelebt. Eigentlich …
Die Rückbesinnung, die aufgrund der Anfrage einsetzte, ließ viele unangenehme Gefühle wieder aufsteigen, schwierige Situationen tauchten wieder auf. Hatte ich meine Trauerphase doch nicht „hinter“ mir?
Halt, bevor ich Sie mit meinen durchlebten Gefühlen langweile, möchte ich gerne von IHNEN wissen: Welche Gefühle verbinden Sie mit dem Begriff Trauer?
Ich meine nicht nur die Trauer, wenn jemand stirbt oder wenn etwas Furchtbares passiert. Trauer beherrscht uns in vielfältigen Formen. Trauer ist in den verschiedenen Formen als urmenschliches Gefühl zu sehen.
Ich bitte Sie, mir IHRE Trauer näher bringen. Dies beschränkt sich nicht auf den Verlust der Hörfähigkeit. Auch in IHREM Leben gab es und gibt es mit Sicherheit Situationen der Trauer: Etwas verletzt Sie, geht zu Ende, Sie verlieren einen Menschen durch Gleichgültigkeit oder den Tod, Ihre Vorstellung von einem Menschen, von Ihrem Beruf wird durch eine Entwicklung zerstört, der Abschied vom Ideal der perfekten Mutter, Ehefrau, der Abschied vom Jungsein...
Ich verteile jetzt an jede/n einen Zettel. Hierauf schreiben Sie ein, zwei Gefühle, die in Trauersituationen aufgekommen sind. Lassen Sie sich Zeit, viel Zeit. Lassen Sie die Gefühle zu, bremsen Sie bitte nicht ab. Geben Sie mir dann, wenn Sie fertig sind, Ihren Zettel.
Viele Frauen in der Familie meiner Mutter waren hochgradig schwerhörig. Die Hörgeräte dieser Generation waren wohl reine Lautverstärkungsgeräte, die so unangenehm waren, dass die meisten darauf verzichteten. Entsprechend laut war die Kommunikation. Ich fand es manchmal unerträglich mit diesen schwerhörigen Frauen und ihren unangenehmen Stimmen, laut und nicht immer gut akzentuiert.
Als ich 42 Jahre alt war, trat das ein, was ich insgeheim befürchtet hatte: Meine drei Schwestern hatten die schönen langen Beine meiner Mutter geerbt, ich ihre Schwerhörigkeit.