Artikel aus FORUM 30, Winter 2008, Seite 75 ff

Ein Betroffener schildert in einem Vortrag auf der DEGEMED in Kassel seine Erfahrungen mit der Rehabilitation für Hörgeschädigte in Rendsburg. Eine bessere Beratung und Vernetzung könnten sicherstellen, dass Hörgeschädigte schon früh eine Reha durchführen und damit ihre Kommunikationsfähigkeiten verbessern.

 

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Erfahrungsbericht zum Thema Rehabilitation

Von Matthias Streckenbach

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank, dass ich heute die Gelegenheit habe, als Betroffener meine Sichtweise zur Thematik Rehabilitation darzulegen.
Als ich gefragt wurde, ob ich an dieser Veranstaltung als Referent teilnehmen würde, habe ich spontan zugesagt. Nicht nur, weil die Einladung von Olaf Biemann kam, sondern weil es in der heutigen Zeit ungeheuer wichtig ist, dass wir Hörgeschädigten uns Gehör verschaffen.

Hörgeschädigten Gehör verschaffen

Viel zu oft habe ich in der letzten Zeit von behinderten Mitmenschen Sätze gehört, in denen Sie von Resignation und auch Verständnislosigkeit sprachen.

  • Z.B.: „Ich will gar nicht mehr erklären und sagen, schaut her, ich bin anders, aber doch genauso wie ihr...“
  • Oder: „Die meisten haben sowieso keine Ahnung von Schwerhörigkeit und vergessen vieles wieder , was ich erklärt habe, oder halten sich nicht daran. Manche reden etwas lauter mit mir, das mag ich auch nicht.“
  • Oder: „...ich frage mich, warum Hörgeschädigte so wenig Komfort geboten bekommen… Und warum man aus uns besonders viel Profit schlagen will…“
  • Oder: „Egal, wo ich mich beworben hatte, ob bei Firmen, privaten Arbeitsvermittlungen oder Zeitarbeitsfirmen, ich hatte oftmals das Gefühl, dass ich für diese Welt abgeschrieben bin. Wie soll man da noch guter Dinge sein?“

 

Das sind alles Originalzitate, und ich halte sie für den Einstieg in das Thema sehr gut geeignet. Zunächst ein paar Informationen zu meiner Person.

Ich komme aus dem äußersten Südosten, der schönen Oberlausitz, genauer aus Zittau, an der polnisch-tschechischen Grenze. 2008 bin ich 49 Jahre alt. Ich bin verheiratet und habe vier Söhne. Ich bin in der Automobilbranche tätig, seit über 17 Jahren im Außendienst, die letzten acht Jahre davon im Vertrieb. Heute trage ich die Verantwortung für einen Umsatz von über 60 Millionen Euro.

Meine Hörschädigung begann irgendwann Mitte der 1990er Jahre, ohne dass ich genau erkannte, wann es wirklich zur Beeinträchtigung führte. Es war wie bei einer Brille, man meint, die braucht man erst, wenn man beim Lesen merkt, dass die Arme zu kurz sind. Viel gesünder wäre es für die Augen, frühzeitig mit einer Korrektur zu beginnen.

So sollte es bei den Ohren eigentlich auch sein – aber Hörgeräte? Nein, das ist doch was für alte Leute, da gehöre ich doch nicht dazu, ich bin doch nicht alt! - Das war meine Einstellung - damals!


Wer leistet individuelle Beratung?

Die Begegnung mit meiner damaligen HNO-Ärztin verlief recht kurz. Sie stellte mir die Diagnose, dass man da nicht viel machen könnte. Eine Verkalkung der Gehörknöchelchen ist Veranlagungssache, hieß es. Vielleicht könnte man zu einem späteren Zeitpunkt operieren, aber erst im fortgeschrittenen Stadium. Natürlich war ich im ersten Moment niedergeschlagen. Hinzu kamen auch noch erste Anzeichen von Tinnitus.

Ich fühlte mich in dieser Situation allein gelassen. Die Beratung durch empfand ich als sehr unbefriedigend, und so begab ich mich selbst auf die Suche. Aber wonach? Ich besorgte mir Literatur, insbesondere zum Thema Tinnitus. Über verschiedene Kontakte gelangte ich an die Uni-Klinik Magdeburg, wo ich 1999 die erste Stapes-OP machen ließ. 2004 folgte dann das andere Ohr, an der Uni-Klinik in Dresden.

In dieser Zeit habe ich mehrere HNO-Ärzte „ausprobiert“, meistens war ich unzufrieden. Damit meine ich nicht die fachliche Kompetenz der Ärzte. Was fehlte, war die individuelle Beratung, das Eingehen auf die persönliche Situation. Denn für mich war eine neue Lebenssituation entstanden. Es konnte zwar niemand meine Krankheit sehen, aber für mich wurde es schwieriger, mein Umfeld wahrzunehmen und kommunikativ zu bleiben.

Und, wie wirkte sich das auf Familie und Beruf aus? Die Zeit zwischen 1999 und 2004 war sehr schwierig für mich, denn die Erkenntnis, schwerhörig zu sein, war bei mir noch nicht angekommen. Oder anders gesagt, ich hatte die Krankheit noch nicht akzeptiert.


Auch in der Familie gehörte Schwerhörigkeit zum Altsein. Ich hörte oft: Gib Dir doch mal Mühe…!  Unter Kollegen suchte ich nur noch das Gespräch, wenn ich mir sicher sein konnte, dass wir relativ ungestört waren, und abends beim Bier lachte ich laut über die Witze mit, ohne sie nur ansatzweise verstanden zu haben. Die Isolation drohte, und die innere Unzufriedenheit wuchs.


Kompetenz und Einfühungsvermögen

In dieser Zeit traf ich auf meine HNO-Ärztin, der ich auch heute noch die Treue halte. Frau Dr. K. aus Löbau nahm sich meiner Situation an, hörte zu und suchte gemeinsam mit mir nach Ursachen und Lösungen. Zum ersten Mal kam ich mir aufgehoben vor, weil sie sich auch sehr intensiv mit dem inzwischen hochgradigen Tinnitus beschäftigte. Eigentlich, so war meine Auffassung, sollte nach den erfolgten Operationen ja das Gehör wieder funktionieren. Aber was heißt schon funktionieren? Das Hörvermögen hatte sich gebessert, aber der Tinnitus blieb.

So erhielt ich dann 2004 erstmals die Chance einer Reha-Maßnahme, die sich insbesondere mit der Thematik Tinnitus auseinandersetzte. Aber, ich wurde dort auch mit der Situation konfrontiert, dass ich technische Hilfsmittel ausprobieren konnte. Plötzlich stellte ich für mich fest, dass mein Hörvermögen ja doch nicht so sonderlich gut war, wie ich immer meinte. Die Entscheidung reifte noch während der Reha, dass ich Hörgeräte ausprobieren wollte.

Und so kam es auch Ende 2004 zur ersten Begegnung mit einem Hörgeräteakustiker. Die Anpassung verlief aus damaliger Sicht recht problemlos. Ich bekam auch den Tipp, mich an den Integrationsfachdienst zu wenden, wo ich Hilfestellung bei der Bearbeitung verschiedener Anträge bekam. Es ging um die Kostenübernahme für die Hörgeräte. Gleichzeitig stellte ich einen Antrag auf Feststellung des Grads der Behinderung, denn meine Hörsituation hatte sich weiter verschlechtert. Der Bescheid kam einige Zeit später und enthielt die Feststellung: 40%. Daraufhin stellte ich den Antrag auf Gleichstellung, der, entsprechend begründet, auch positiv für mich entschieden wurde.

Sicherlich kann ich heute sagen, dass ich damals Glück hatte, indem ich auf die richtigen und kompetenten Menschen und Mitarbeiter getroffen bin. Aber das kann nicht jeder von sich behaupten und sollte normalerweise auch anders organisiert sein, als dass es dem Zufall überlassen bleibt, welche Unterstützung man erhält. So sei an dieser Stelle schon mal festgestellt, dass es nur in einem engen Zusammenwirken von HNO-Arzt, Akustiker, Behörden und Ämtern möglich ist, eine optimale Versorgung zu erhalten. Aber, ich erlaube mir zu behaupten, dass das in den wenigsten Fällen gewährleistet ist. Denn was ist optimal? Hier gilt es für jeden einzelnen von uns eine sehr individuelle Beratung vorzunehmen! Ich möchte Ihnen das an meinen persönlichen Erfahrungen weiter schildern.


Hörsturz im kommunikativen Beruf

In dem Beruf, den ich ausübe, können Sie sich sicherlich vorstellen, geht es sehr kommunikativ zu. Ich habe ständig mit verschiedensten Menschen Kontakt, im direkten Gespräch, aber auch am Telefon – Festnetz wie Handy, heutzutage auch per E-Mail. Es ist sehr wichtig, dass ich jedes Detail auch richtig verstehe.


Ende 2006 beziehungsweise Anfang 2007 trat ein starker Hörverlust auf. Er wurde zunächst als Hörsturz behandelt. Doch trotz Behandlungen gab es keine Verbesserung, das Hörvermögen schwankte einerseits sehr stark, andererseits zeigte die aufgenommene Hörkurve einen deutlichen Verlust. Eine Erkrankung des Innenohres wurde zusätzlich diagnostiziert. Binnen kürzester Frist musste ich mich umstellen. Die Hörgeräteversorgung reichte nicht mehr aus. Ich suchte nach Alternativen, um besser telefonieren und kommunizieren zu können. Wie sollte ich noch Informationen aufnehmen, vom Radio oder Fernsehen?

Die Lebensqualität sank erheblich. Gespräche im Familien- und Freundeskreis wurden mir zur Qual. Den drohenden kompletten Hörverlust vor Augen, stellte ich mir die Frage: Wie soll es jetzt weitergehen? Da war die Frage nach dem Beruf. Wie kann ich meiner Tätigkeit weiter nachgehen, die ich bei all dem Stress doch gern ausübe? Da war die Sorge um die Familie, die Unterstützung bei der Ausbildung der Kinder. Gleichzeitig strukturierte mein Arbeitgeber das Unternehmen um. War da überhaupt noch Platz für einen „Fall“ wie mich?

Ich merkte, dass mir der Akustiker keine Lösungen anbieten konnte. Ich konnte es nicht verstehen, dass es für meine Situation keine Hilfe geben sollte. Wieder einmal zeigte sich meine HNO-Ärztin als die richtige Anlaufstelle. Sie empfahl mir eine Reha-Maßnahme in Rendsburg.


Rehabilitation in Rendsburg - kein klassischer Kurbetrieb

Ich war dabei, mich mit meinem Leben zu arrangieren, alles so hinzunehmen und zu sehen, irgendwie noch das Beste draus zu machen, solange es noch ging. Mit der Vorstellung einer klassischen Reha im Kopf fuhr ich also in Richtung Schleswig-Holstein, doch auch mit ein wenig Unmut im Gepäck, warum es ausgerechnet so weit entfernt von zu Hause sein musste.

Aber schon nach den ersten Tagen stellte ich fest, dass mich etwas ganz anderes erwartete. Es gab nicht den klassischen Kurbetrieb, mit verschiedenen medizinischen Anwendungen, sondern Seminare. Und hier ging es genau um die Themen, auf die ich Antworten suchte.

  • Es ging um Hörgeräte-Technik. Allein durch den Austausch der Teilnehmer untereinander erfuhr ich schon über viele Möglichkeiten. Dies wurde fachlich durch einen Akustiker noch vertieft und auf die persönlichen Bedürfnisse abgeglichen.

  • Wir wurden in verschiedenen Kommunikationstechniken ausgebildet.

  • Es gab Informationen zur Rechtssituation, und nicht zuletzt wurden persönliche Situationen und Probleme analysiert und Lösungen erarbeitet.

  • Natürlich ging es auch darum, das Selbstwertgefühl zu stärken, Motivation zu schöpfen.

  • Ganz wichtig war für uns, zu erkennen, was wir selbst verändern und beeinflussen können. Gerade guthörende Menschen sind oft sehr dankbar dafür, wenn wir ihnen konkret sagen, wie die Kommunikation erfolgreich gestaltet werden kann. Damit auch alles beim Gegenüber „ankommt“.

 

Ich kann für mich festhalten: in meiner Situation, mitten im Berufsleben stehend, war diese Reha genau das Richtige zum richtigen Zeitpunkt. Selbst ein Gespräch mit einem Vertreter der Deutschen Rentenversicherung Bund wurde organisiert, das auf die Belange eines jeden Einzelnen einging.

Mit all diesem Wissen hat sich meine Lebenssituation erheblich optimiert. Ich habe eine komplett neue technische Ausstattung erhalten, die jetzt meiner Hörsituation wieder gerecht wird. Die Kostenübernahme ist geklärt. Ich beherrsche die Grundvoraussetzungen für die Kommunikation, habe dazu meine Regeln festgelegt, die heute Bestandteil meiner Arbeit sind. Und außerdem arbeite ich gerade daran, mich neuen beruflichen Herausforderungen zu stellen.


Kommunikation steuern: Möglichkeiten - Grenzen - Akzeptanz

Mein Fazit lautet also: Ich kenne nun meine Möglichkeiten, aber auch meine Grenzen in Verbindung mit der Hörschädigung. Ich bin selbst in der Lage Kommunikationssituationen zu steuern, Bedingungen aufzustellen, unter denen ich eine Chance habe zu verstehen, aber auch Situationen zu akzeptieren wo ich nicht „mithalten“ kann.

Aber es war ein beschwerlicher Weg dorthin. Dabei hatte ich noch viel Glück, ich bin auch kein Mensch, der schnell aufgibt und sich „hängen lässt“. Ich habe einige Lebensjahre „verschenkt“, in denen sich alles sehr viel negativer hätte entwickeln können. Für andere Menschen in ähnlicher Situation hat es sich auch tatsächlich viel negativer entwickelt, wie ich durch viele Kontakte zu Schwerhörigen weiß.

 

Wie hätte es besser laufen können?

Selbstverständlich hätte ich mir eine bessere Beratung durch meine damalige Vertrauensperson – der erste HNO-Arzt – gewünscht. Damals hätte ich mir gewünscht zu erfahren, welche Folgeerscheinungen Schwerhörigkeit hat. Dass man geneigt ist, sich zu isolieren, dass man Außenstehenden kaum erklären kann wie man versteht und wann und warum man nicht versteht. Dass ein Hörgerät eine Hilfe, aber keine Kompensation der Schwerhörigkeit für mich bedeutet und technische Hilfen und Tinnitus und.... Aber ich sehe ein, das ist nicht sein Job und die umfassende Beratung kann man in dem Beruf nicht leisten.

Vielen HNO-Ärzten fehlt auch die Rückmeldung der Betroffenen, um die Bedeutung einer solchen Beratung einzuschätzen. Mit meiner heutigen HNO-Ärztin ist es zum Glück wirklich ein vertrauensvolles Verhältnis geworden.

Aber! Ich hätte eben von Anfang an gerne gewusst, dass die Kompetenz hier eben nicht ausschließlich bei den HNO-Ärzten liegt. Ich hätte mir gewünscht, das kommunikative Handwerkszeug noch vor der Tinnitus-Reha zu erhalten. Dann wäre der Reha-Erfolg noch größer geworden. Heute weiß ich, dass die damalige Kommunikation mit anderen Reha-Teilnehmern dadurch noch intensiver hätte sein können.

Es wäre ein großer Vorteil, ein Beratungsangebot über alle Möglichkeiten der Rehabilitation zu schaffen, das Möglichkeiten der Technik, Medizin oder Kommunikation aufzeigt, und das versucht einen individuellen Reha-Plan für die Betroffenen vorzuschlagen. Ich kenne viele Hörgeschädigte, die zuerst eine Reha in Rendsburg gemacht hätten, um überhaupt Kommunikationswerkzeug zu erhalten. Weitere medizinische oder berufsfördernde Maßnahmen wären dann sicherlich noch erfolgreicher verlaufen und es hätte eine Integration sehr erleichtert.

 

Ich habe das Kommunizieren letztlich gelernt und dabei viel Glück gehabt, dass ich mich „durchgekämpft“ und nicht resigniert habe. Heute darf ich hier meine kleine Geschichte erzählen. Ich hoffe, hiermit meinen kleinen Teil für ein besseres Netzwerk in der Rehabilitation von Hörgeschädigten beizutragen. Ich möchte es nicht bei dem heutigen Termin belassen. Ich würde mich freuen, wenn ich mich auch weiterhin zu diesem Thema einbringen könnte. Vielen Dank!

 

Wer Fragen an den Autor Matthias Streckenbach hat, kann über das Webteam Kontakt aufnehmen.

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