Den Menschen als Ganzes berühren

Der wesentliche Unterschied zu damals war, dass ich mir diese Fragen nun endlich SELBST stellte.

Dabei ging es auch nicht mehr um „Party und Small talk“ – sondern um meine Gesundheit – ja, sogar um meine Existenz. Es ist vielleicht nicht so leicht nachvollziehbar – aber offenbar brauchte ich diesen „Schuss vor den Bug“, um auch endlich innerlich für mich einverstanden zu sein mit dem, was ich doch schon lange sagte:

Ich bin ein hörbehinderter Mensch.

Das war vor drei Jahren. Ich ging zurück nach Köln und habe mir eine längere berufliche Auszeit genommen. Und gleichzeitig die Weichen gestellt für ein auf Teilzeit reduziertes Arbeitsleben, das ich als „schlappohrengerechtes Arbeitsleben“ bezeichne und in dem ich mich wohl fühle.

Natürlich brauchte es Mut – und nicht jeder kann oder will sein Leben so umkrempeln. Für viele Betroffene ist das vielleicht auch gar nicht so grundlegend nötig, weil sie sich anders und schneller auf ihre veränderte Lebenssituation einstellen können, als es mir möglich war.

Generell aber glaube ich schon – und das wollte ich Ihnen mit diesem Beispiel zeigen, dass die Einstellung auf eine Hörbehinderung fast immer ein gravierender Einschnitt für das ganze Leben eines Menschen bedeutet, weil vertraute soziale Regeln gründlich in Frage gestellt und Lebenspläne durchkreuzt werden. Es geht ja nicht nur um die augenblickliche Situation: mit der medizinischen Feststellung, dass der Hörschaden „unheilbar“ ist, fehlt bei dem Betroffenen zunächst auch jede Perspektive.

Und wenn er mit der Zeit den Sprung in eine rationale Auseinandersetzung mit dem neuen IST-Zustand schafft, ist es schwer und schmerzhaft, sich von den Bildern zu verabschieden, die man bisher von sich selber hatte und die man vor Anderen darstellen möchte. Ein solcher Prozess kann kaum alleine gelingen und ich denke, Sie werden mir Recht geben, dass das Thema „Technik“ dabei auch nur ein Teilaspekt sein kann.

Von entscheidender Bedeutung ist nach meiner Erfahrung,

  • ob und wie der Betroffene in seiner gesamten Lebenssituation und in seinem Selbstbild gesehen und unterstützt wird.
  • Ob seine Traurigkeit und Orientierungslosigkeit ernst genommen oder das Nicht-Wahrhaben-Wollen behutsam aufgebrochen wird.
  • Und letztendlich: ob er es schafft, sich in einer realistischen Bilanz ein NEUES BILD von sich zu machen und von dem was er immer noch leisten kann und will.

Je konkreter und umfassender die Hinweise von außen sind und je mehr sie den MENSCHEN als Ganzes berühren, desto rascher und nachhaltiger wird er in die Lage kommen, sich SELBST ZU HELFEN. Und wenn dann im Kontakt und im Austausch mit anderen Betroffenen sich das Gefangensein in der Behinderung langsam auflöst, ist tatsächlich ein großer Schritt geschafft.

Ich habe meine Ausführungen mit einer Bitte an Sie begonnen, und ich möchte mit einer Bitte schließen: Nehmen Sie meinen Bericht bitte als das, was er ist – nämlich als EINE mögliche Erfahrung, die eine Schwerhörige auf ihrem WEG gemacht hat. So wie es nicht DIE SCHWERHÖRIGKEIT schlechthin gibt, gibt es auch nicht den KÖNIGSWEG für den besten Umgang damit. Das ist aber kein Nachteil, sondern eine Chance – für Sie, die Sie als Betroffene entsprechend Ihren Notwendigkeiten Ihren eigenen Weg suchen können und finden werden. Und für Sie als Guthörende, weil Sie keine umfangreiche „Gebrauchsanweisung für Schwerhörige“ brauchen, sondern schon mit etwas Achtsamkeit und Mitmenschlichkeit eine enorme Hilfe für uns „Schlappohren“ sein können.

Ihnen allen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.

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