Viele Jahre später ist Sofie im JOB ziemlich weit vorne – die Ehe am Ende – und sie selbst??...
Scheinbar plötzlich werden Grenzen in der Kommunikation überdeutlich.
Genauso wie der Rückzug ins ALLEINE-SEIN, der ihr bisher gar nicht aufgefallen war. Unter Menschen, bekannten wie fremden, ist sie nun sehr unsicher und zurückhaltend. Sie will sich nicht eingestehen, dass sie sich schämt, trotz ihres teuren Hörgerätes in den Gesprächen nicht mehr mitzukommen.
Ihr Selbstvertrauen schwindet immer mehr, und oft glaubt sie, nicht anderes mehr sehen zu können, als die scheinbar fragenden und verständnislosen Blicke der Anderen: Was bist DU denn für Eine? Warum sagst DU gar nichts??
Aber Sofie hatte auch Glück. Zufällig fand sie bei ihrem Akustiker einen Hinweis auf ein Kommunikationstraining für Schwerhörige und meldete sich an.
Nach jahrlangem Leugnen wagte sie den ersten Schritt unter Gleichbetroffene und war erstaunt, wie leicht es hier war, über ihren Kummer zu sprechen – z.B. von diesem schrecklichen Fest, wo sie viele Stunden nur STUMM dabei gestanden hatte. Aus den wenigen Wortfetzen, die sie verstanden hatte, konnte sie sich nur mühsam einen Zusammenhang „stricken“ – aber aus Unsicherheit, ob sie auch richtig geraten hatte, bekam sie den Mund nicht auf. Innerlich versank sie im Erdboden – jede Stunde ein Stückchen mehr; äußerlich stand sie stumm, aber tapfer grinsend in der Runde – wie festgewachsen, noch nicht einmal fähig, einfach abzuhauen.
Diese Szene und ihre SPRACHLOSIGKEIT beschrieb sie, als der Trainer sie unterbrach:
„Wieso SPRACHLOS...? Ich dachte, Du HÖRST schlecht!!“
Haben Sie das schon einmal erlebt, dass Ihnen eine einzige, einfache Frage das Problem in seinem Kern glasklar vor Augen geführt hat? SPRACHLOS oder schlecht HÖREND…???!!!
Sie werden es sich wahrscheinlich schon denken können, unsere SOFIE ist in Wahrheit... Anne Jung. Und diese FRAGE vor gut sieben Jahren war für mich einen wichtiger Anfang: Ich begann zu verstehen, wie sehr ich mir all die Zeit durch Verleugnung und Vertuschung meiner Hörbehinderung selbst im Wege gestanden hatte.
Ich war – um auf die bunte Welt der Werbung zurückzukommen – technisch auf höchsten Niveaus ausgestattet, aber menschlich in keiner Weise eingestellt auf das, was sich durch meine Hörbehinderung alles verändert hatte.
Motiviert durch dieses Seminar kümmerte ich mich rasch um eine Reha-Maßnahme. Als ich zurückkam, ging es mir wie fast Allen: ich glaubte die Weisheit für Schwerhörige mit Suppenkellen gefressen zu haben: Haha, JETZT wusste ich endlich „wie es geht“.
Der Satz:
„Ich bin schwerhörig – bitte schauen Sie mich beim Sprechen an.“
ging mir plötzlich ganz leicht von den Lippen; bei meinen Arbeitskollegen kokettierte ich manchmal sogar etwas damit, wie ich nun mit meiner Schwerhörigkeit umging – ich war einfach glücklich, aus dem Schneckenhaus heraus zu sein und glaubte, mein Leben mit der Schwerhörigkeit nun VOLL IM GRIFF zu haben.
In Wahrheit hatte ich wohl nur den Teufel mit Belzebub ausgetrieben: wenn ich vorher die „perfekte Normalhörende“ sein wollte, so gab ich nun allerorten die „perfekte Schwerhörige“: Handicap? Ja – aber alles kein Problem. Ich kann damit umgehen. Und ich merkte die Anstrengung nicht, die mich das kostete.