Artikel aus FORUM 24, Winter 2005, Seite 29 ff
"Hephata" ist ein aramäisch-hebräischer Begriff. Übersetzt heißt es "Öffne Dich!" Eine Referentin beleuchtet, wieso wir uns oft für unsere Schwerhörigkeit schämen, und deutet Wege zu mehr Offenheit an.
Ohne Angst verschieden sein
von Dagmar Terporten
Mein Name ist Dagmar Terporten, ich bin 59 Jahre alt, seit ca. 17 Jahren schwerhörig, davon die letzten 10 Jahre links hochgradig schwerhörig, rechts an Taubheit grenzend.
Wenn ich etwas gut kann, dann schlecht hören!
Ich bin also ein „Schlappohr“, wie wir uns bei der Deutschen HörbehindertenSelbsthilfe (DHS), in der ich Mitglied bin, liebevoll-selbstironisch nennen. Als ich gefragt wurde, ob ich Referentin zum Thema „Hephata – ich öffne mich“ werden möchte – übrigens das erste Mal in meinem Leben – kam mir sofort der Gedanke „ Wie schön, sich weit öffnen zu dürfen. ICH schäme mich meiner Schwerhörigkeit sehr oft.“ Und dann habe ich umgehend zugesagt.
Diese Scham, die mich behindert, versuchte ich schon lange zurückzudrängen, nun durfte ich mich dem Thema stellen. In den Monaten der Vorbereitung wurde mir immer klarer, wo meine Fehler lagen, wie viel Mühe, sinnvoll mit dieser lähmenden Scham umzugehen, noch vor mir lag.
Ich erkannte aber auch, dass ich nur eine Chance habe, mit diesem Gefühl sinnvoll umzugehen, nämlich wenn ich mich dieser Schwierigkeit offen stelle.
Natürlich ist der Aspekt der „Scham“ nur eines von vielen möglichen Themen zum Gesamtproblem der Schwerhörigkeit. Für mich ist das Schamgefühl der größte Hemmschuh, die größte Last, die ich mit mir schleppe, nach einer langen Zeit der Trauer über den Verlust des normalen Hörens der größte Nachteil, den mir meine Hörschädigung gebracht hat.
Es ist schlimm genug, dass die Ohren schlapp sind – nun schäme ich mich auch noch! Also höchste Zeit, mich davon - so gut es geht - zu befreien. Dieses Referat ist die Gelegenheit, das Problem bewusster und mutiger anzugehen, als ich es bis heute fertig bekommen habe.
Scham, ein altmodischer Begriff, häufig mit „schmutziger Sexualität“ verknüpft, aber ein Ausdruck, der meinem Gefühl entspricht. Ich möchte versuchen, Sie an meinen Gedanken teilhaben zu lassen und würde gerne im Anschluss IHRE Gedanken dazu erfahren.
Wer kennt die Situation nicht: Da möchte man sich "in Grund und Boden schämen", und bleibt am Ende sprachlos zurück. Oder man liegt hilflos im Krankenhausbett, und fühlt sich schamlos ausgeliefert.
Schäm dich! Du bist unverschämt, ja sogar schamlos!
Das Schamgefühl ist ein Tabuthema unserer Gesellschaft.
Umso wichtiger ist es, dass wir unsere eigene Beschämung wahrnehmen, dass wir über unsere Schamgefühle sprechen lernen, bereit sind auf die Schamgefühle unserer Mitmenschen einzugehen.
Das Schamgefühl ist zunächst nichts Negatives. Es ist eine Kraft, die mir hilft, meine Würde zu schützen. Es hält zusammen, was sonst in uns zerbrechen würde. Das Schamgefühl kann mich aber auch lähmen, mich in Hilflosigkeit und Angst zurücklassen, mir Mut nehmen.
Hier nun die Geschichte MEINER Scham, ausgelöst durch meine Schwerhörigkeit, die mit 42 Jahren - noch ziemlich verhalten - einsetzte. Als ich meine ersten Hörgeräte erhielt, wurden sie sorgfältig unter den Haaren versteckt. Niemand sollte sie sehen. Unbewusst wollte ich so meine Schwerhörigkeit verstecken und habe mir dadurch das Leben nur noch schwerer gemacht.
Da die Anderen von mir nicht informiert wurden und die Hörgeräte nicht sahen, wurde mein Nicht- oder Falsch-Hören natürlich fehl interpretiert. Desinteresse, Sturheit, Überheblichkeit leitete man daraus ab. Nur mit meiner Familie sprach ich darüber, aber auch dort nur zaghaft.
Es ging nicht nur darum, dass die Hörgeräte hässlich waren, sie waren auch Symbol meiner Schwerhörigkeit. Ich konnte auf einmal etwas nicht, was alle konnten. Natürlich gab ich auch nicht zu, wenn ich – trotz meiner Hightech-Geräte – etwas nicht verstand, sondern ich schauspielerte, lachte, erfand Gründe – kurz ich log. Dadurch wurde nichts besser, sondern nur noch schlimmer.
Wie erleichtert waren z. B. die Kollegen, als ich ihnen meine Schwerhörigkeit eingestand. Hatte ich doch zu manchen Themen bei Dienstbesprechungen nichts gesagt, war bei privaten Gesprächen teilnahmslos, jetzt wussten sie warum: Im Durcheinander von Stimmen hatte ich einfach nichts verstanden. Mir eine Bitte nachzurufen, war erfolglos. Klar, meine Mikrofone sind nach vorne ausgerichtet, ich sehe den hinter mir Stehenden nicht, also weiß ich auch nicht, dass er etwas zu mir gesagt hat, geschweige denn, was er gesagt hat. Jetzt verstanden sie mein Verhalten.
Dies war mein erstes Geständnis, die Resonanz positiv, aber die Scham, etwas nicht zu können, was fast alle können und mir bis vor kurzem ja auch mühelos gelang, wurde ich nicht los.