Kommunikationsstörungen und daraus erwachsene Probleme im Berufsleben gehören zur Lebenswirklichkeit von schwerhörigen Menschen und haben die verschiedensten Ursachen, technische, betriebsorganisatorische, zwischenmenschliche, persönliche u. a. m.
Während sich die beiden ersteren Hemmnisse bei gutem Willen aller Betroffenen in der Regel schnell und unkompliziert regeln lassen, stellen sich allseits befriedigende Lösungen auf mitmenschlicher Ebene eher schwerer ein. Das ist nicht ungewöhnlich, ist dies doch in der unterschiedlichsten Natur der Menschen angelegt. Die grundsätzlich vorhandene Bereitschaft, sich im Konfliktfall aufeinander zuzubewegen hat jedoch Grenzen. Dies gilt speziell in einem harten Berufsalltag, in dem Karrierestreben, Konkurrenzdenken, unbedingter Erfolgswille und erbarmungslose Gewinnmaximierung vorherrschen. Rücksichtnahme auf gesundheitliche Einschränkungen sind in einem solchen Arbeitsmilieu erwiesenermaßen kaum vorgesehen.
Vor allem Höreinschränkungen führen am Arbeitsplatz schnell zu Kommunikationsmissverständnissen, die einer erfolgreichen Berufsausübung entgegenstehen. Dabei können Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen eigentlich selten einschätzen, ob vermeintlich fehlende bzw. mangelnde Arbeitsergebnisse in persönlichem oder leistungsmäßigem Unvermögen begründet sind. Wie sollten sie das auch können...?! Schließlich haben (wir) Menschen mit Höreinschränkungen nicht selten die Tendenz, unser Hörhandicap eher zu verleugnen denn zu offenbaren, besonders im Arbeitsumfeld. Nicht grundlos, denn Hördefizite könnten uns als Schwäche ausgelegt werden mit möglichen Rückschlüssen auf eine volle Arbeitsbefähigung. Hinzu kommt, dass Höreinschränkungen für Andere nicht gleich erkennbar sind. Viele Mitmenschen verstehen auch nicht, dass Betroffene immer noch schlecht hören, obwohl sichtbar Hörhilfen getragen werden. Ferner wird nicht nur gerne das Hörhandicap verheimlicht, sondern auch die Hörhilfe. Soweit eine Hörprothese nicht schon schamhaft unter den Haaren verborgen ist, gilt hier gerne das werbetragende Motto, je kleiner desto besser...
Vor diesem sensiblen Hintergrund sind betroffene Arbeitnehmer gut beraten, ihre Arbeitskraft und fachlichen Potenziale durch die Nutzung von Unterstützungsangeboten, Arbeits- und Hilfsmitteln sinnvoll abzusichern und mit ihrem Hörhandicap möglichst offen umzugehen. Dabei gilt es durchaus, begründete Vorbehalte und Nachteile gründlich gegeneinander abzuwägen. Andererseits zeigt die Erfahrung, je verständlicher und klarer ich meine Hörprobleme und die damit verbundenen Kommunikationsbedürfnisse kommuniziere, desto besser können sich Kollegen und Vorgesetzte auf eine reibungslose Zusammenarbeit mit mir einlassen, wird vermeintliche Schwäche zum Gewinn, auch für den Betrieb.
Welche vermittelnden Unterstützungsmöglichkeiten sind hier denkbar?
außerbetrieblich
- Beratungsangebote der Agenturen für Arbeit, Abteilung Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen
- Berufsgenossenschaftliche Unterstützung
- Kontaktaufnahme zu Integrationsämtern und deren beratende Ingenieure
innerbetrieblich
- Hinwendung an Betriebsärzte, Betriebsräte, Vertrauensleute der Gewerkschaften
- Einschaltung betrieblicher Schwerbehindertenvertretungen, ggf. Inklusionsbeauftragte, bzw. Moderatoren
- Betriebliche Wiedereingliederungsmaßnahmen (BEM)
Welche Arbeits- und Hilfsmittel können bei Höreinschränkungen hilfreich sein?
- Hörgeräte, Hörimplantate
- zusätzliche individuelle Kommunikationshilfen je nach Bedarf induktiv, funkbasierend oder Bluetooth-fähig
- hörbehindertengerechte, schallschluckende Arbeitsplatz- bzw. Raumlösungen
- Nutzung von digitalen Unterstützungshilfen und Softwarelösungen, speziell auch für die Visualisierung von Spracherkennung
- Unterstützung durch Gebärden- oder Schriftdolmetscher
- ggf. Informationsmaterialien für Kollegen, Vorgesetzte, z. B. "Leitfaden barrierefrei hören und kommunizieren in der Arbeitswelt" (hoerkomm.de)
Info-Materialien für eine gewinnbringende Kommunikation mit Kollegen/Vorgesetzten
(mit freundlicher Unterstützung des Projektes www.hoerkomm.de)
Gute Tipps für gutes Hören
Verstehen Sie manches nicht, besonders wenn es in Ihrer Umgebung laut ist? Fällt Ihren Kolleginnen und Kollegen auf, dass Sie neuerdings lauter sprechen?
Sie sind nicht allein...
Etwa 15 Millionen schwerhöige Menschen leben in Deutschland. Sie dürften also auch einige kennen...
Schwerhörigkeit - verbreitet aber versteckt
Obwohl schätzungsweise jeder Fünfte nur mit Einschränkungen hören kann, wird nicht gerne darüber gesprochen. Nutzen Sie jetzt die Chance, etwas zu ändern und die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen!
Überprüfen Sie, wie gut Sie hören
Lassen Sie sich durch einen HNO-Arzt oder einen Hörgeräteakustiker testen. Oder gewinnen Sie über einen Selbsttest einen ersten Eindruck, wie es um Ihre Ohren steht: Einen Online-Hörtest finden Sie auf der Seite der Fördergemeinschaft gutes Hören unter www.fgh-info.de sowie auf den Webseiten vieler Hörakustiker.
Technik für gutes Hören
Hörgeräte sind heute klein und unauffällig. Und das Hilfsmittel der Wahl, um wieder hören und kommunizieren zu können. Testen Sie es aus. Ihr Hörgeräteakustiker berät Sie. Tragen Sie Hörsysteme, die auf Ihre Höreinschränkung und Bedürfnisse eingestellt sind, unverbindlich zur Probe. Nehmen Sie die Geräte mit und testen Sie das Hörgefühl zuhause oder am Arbeitsplatz.
Was kostet ein Hörgerät?
Mit der Verordnung Ihres HNO-Arztes beträgt der Zuschuss der gesetzlichen Krankenversicherung für ein Hörgerät zurzeit bis zu 785 Euro mit einem 20 %-igen Abschlag für das zweite Hörgerät bei beidohriger Versorgung mit Hörhilfen. Hinzu kommt die obligatorische Eigenbeteiligung von je 10 Euro pro Hörgerät. Allerdings sind einzelne Krankenkassen dazu übergegangen, diesen gesetzlichen Festbetrag zu unterbieten, indem sie preisgünstigere Leistungsverträge mit einzelnen Hörhilfsmittelanbietern abschließen. Deshalb ist es ratsam, die für Sie zuständige Krankenkasse vor der Anschaffung einer Hörhilfe diesbezüglich zu kontaktieren.
Technische Arbeitshilfen
Welche Schnittstelle braucht mein Hörgerät?
Achten Sie bei der Anschaffung von Hörgeräten auf Schnittstellen wie Audioausgang, Telefonspule oder Bluetooth. Hiermit können Verbindungen zum (Mobil-)Telefon, Laptop oder zu Tonübertragungsanlagen für Besprechungen hergestellt werden.
Welche Zusatzsysteme helfen bei Besprechungen?
- FM-Anlagen: Tonübertragung durch Funksignale direkt auf das Hörgerät
- Induktive Höranlagen: Tonübertragung innerhalb einer Kabelschleife direkt auf das Hörgerät
Welche technischen Lösungen gibt es für die Telefonie und/oder Videokonferenz?
- Telefonverstärker: Werden zur Lautstärkemodulation eingesetzt
- Barrierefreie Telefone: Bieten verschiedene Einstellungen und Schnittstellen an
- Verbindungen via Bluetooth: Drahtlose Übertragung zu Telefon, bzw Laptop
Offener Umgang ist wichtig
Offenheit im Umgang mit der eigenen Schwerhörigkeit hilft, Unsicherheiten und Missverständnisse am Arbeitsplatz zu vermeiden.
- Übersicht über unsere Kommunikationstipps
- hörkomm.de: Poster "Gute Gesprächskultur ist uns wichtig"
- Details
Die Tess Relay-Dienste GmbH bieten hörgeschädigten Menschen bundesweit Telefon-Vermittlungsdienste an.
Es gibt Dolmetscherleistungen am Telefon in Gebärdensprache (TeSign) und in Schriftsprache (TeScript). Gehörlose, ertaubte und stark schwerhörige Menschen können so eigenständig mit hörenden Menschen telefonieren.
TeSign: Videodolmetschdienst für gehörlose Menschen
Sie nehmen über einen PC mit Webcam (Internetverbindung) oder einem Bildtelefon (Telefonverbindung) Kontakt zum Gebärdensprachdolmetscher auf. Dieser stellt dann eine Telefonverbindung zum gewünschten Gesprächspartner her und übersetzt das Gespräch simultan von Deutscher Gebärdensprache in deutsche Lautsprache und umgekehrt.
TeScript: Schriftdolmetschdienst
Dieser Service eignet sich für hochgradig schwerhörige, sprachgeschädigte, ertaubte und an Taubheit grenzend schwerhörige Menschen, die die Gebärdensprache nicht nutzen. Über einen PC mit Internetverbindung oder ein Schreibtelefon wird der Schriftdolmetscher kontaktiert. Dieser baut eine Telefonverbindung zum gewünschten Gesprächspartner auf und übersetzt die Inhalte simultan von Schriftsprache in deutsche Lautsprache und umgekehrt. In diesem Dienst ist auch Voice Carry Over möglich. Dabei spricht der hörgeschädigte Anrufer selbst zum hörenden Teilnehmer und die Rückantworten werden schriftsprachlich übersetzt.
Kostenloser Notruf für alle!
Dies ist eine freiwillige Leistung von Tess. Registrierte "Notrufkunden" können ihre Notrufe über Tess - Relay-Dienste an die zuständige Notrufleitstelle vermitteln lassen. Telefonate an die Notrufnummern 110 und 112 werden von Tess gedolmetscht.
Mit der App Bria mobil anrufen
Die Relay-Dienste TeSign und TeScript können auch mit Smartphones und Tablet-PC's mit Android-Betriebssystemen sowie mit Apple iPhones und iPads genutzt werden. Vorraussetzung ist die Installation der kostenpflichtigen App Bria, erhältlich im Playstore bzw. im App-Store).
Tess ist aus einem gemeinsamen Projekt der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten - Selbsthilfe und Fachverbände e. V. und der Deutschen Telekom entstanden. Ziel war es, hörgeschädigten Menschen barrierefreies und eigenständiges Telefonieren zu ermöglichen. Seit 2009 ist Tess ein Regeldienst. Die Bundesnetzagentur hat Tess – Relay-Dienste Ende 2018 erneut den Zuschlag für die Bereitstellung eines Vermittlungsdienstes für
hörgeschädigte Menschen gegeben.
Nähere Informationen finden Sie auf der Webseite der Firma Tess Relay-Dienste GmbH: www.tess-relay-dienste.de
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CI - eine Entscheidung, die jede/r selbst treffen muss ...
Bei der Entscheidung für oder gegen ein Cochlea Implantat (CI) sind umfassende Informationen ebenso wichtig wie die eigenen Gefühle. Oft hilft es, sich mit Betroffenen auszutauschen. So lauten einige Ergebnisse unserer nicht-repräsentativen CI-Umfrage 2012/13.
Wir haben unter unseren Mitgliedern, die mit CI versorgt sind, per Fragebogen nach persönlichen Erfahrungen vor der Operation und während der Anpassung und Folgezeit gefragt:
- An der Umfrage haben sich 26 DHS-Mitglieder im Alter von 44 bis 67 Jahren beteiligt, darunter 22 Frauen und 4 Männer, 15 davon Berufstätige.
- Der Hörstatus vor der Operation reichte bei den Beteiligten von 'hochgradig schwerhörig' bis 'ertaubt'.
- Die Teilnehmer/innen waren zuvor unterschiedlich lange schwerhörig gewesen, mit "von Geburt an" Frühschwerhörigen bis "ab dem 50. Lebensjahr" Betroffenen.
Das Besondere an unserer Umfrage war, dass die Teilnehmer/innen zu vielen Fragen individuelle Antworten formulieren konnten. Oft finden Sie daher in der folgenden Auswertung auch einige Listenpunkte mit Original-Zitaten, großteils anonymisiert.
Wir möchten betonen, dass hier persönliche Eindrücke wiedergegeben werden. Es sind weder allgemeingültige Aussagen über die Erfolgsaussichten einer CI-Operation noch zu Vor- und Nachteilen bestimmter Kliniken oder CI-Anbieter. Die Umfrage macht deutlich, dass hier jede Person ihre eigenen Bedürfnisse und Ziele hat, und sich auch daran orientieren sollte.
Anmerkung des Webteams: in den letzten Jahren seit dieser Umfrage hat sich im Bereich CI- Technik, CI-OP / Krankenhäuser und CI-Reha vieles weiterentwickelt und geändert. Wenn Sie hierzu aktuelle Informationen suchen, empfehlen wir Ihnen die Seiten der DCIG (Deutsche CI-Gesellschaft) oder der HCIG (Hannoversche CI-Gesellschaft).
Dennoch möchten wir diesen Beitrag auf unserer Seite stehen lassen, da die Beweggründe, Erfahrungen und Tipps der Betroffenen unverändert ihre Gültigkeit haben und vielleicht für Sie bei der Entscheidungsfindung hilfreich sein können.
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Weiterlesen: Cochlea Implantat: Umfrage unter DHS-Mitgliedern 2012/13
Meine vier Wochen im Rehabilitationszentrum für Hörgeschädigte in Rendsburg
Persönlicher Bericht von U.L., Namen teilweise geändert, Bilder: DHS
Die erste Woche
Woche 1: Samstag
Sechsstündige Anfahrt bis Rendsburg. Ich döse und lese im ICE, später, im Regionalzug ab Hamburg, schaue ich aufmerksamer auf die Landschaft: Weiden und Maisfelder, einzelne Gehöfte, ein Schwein inmitten von Hühnern auf einer großen Wiese. Glückliche Hühner, glückliches Schwein.
Kurz vor dem Ziel steuert der Zug eine riesenlange, hohe Brücke an und fährt einen weiten Bogen um die Stadt herum. Am Bahnhof nimmt mich Lorenz in Empfang. Wir warten auf zwei weitere Reha-Teilnehmer.
Im Campus des Nordkollegs erhalten wir die Zimmerschlüssel. Mein Zimmer für die nächsten vier Wochen ist einfach. Bett, Schrank, ein Tisch, ein Stuhl, über dem Bett ein Bord... Aber der Platz reicht. 18 Uhr ist gemeinsames Abendessen, danach Treffen im Seminarraum, um Organisatorisches zu besprechen.
Olaf, Lorenz, Anja und weitere Ansprechpartner und Betreuer des Reha-Zentrums stellen sich vor. Wir sind elf Teilnehmer, auch eine junge Mutti ist mit ihrem 4-jährigen Sohn hier… Mit Frank, Robert, Anneliese und den anderen schnabbele ich noch ein bisschen. Mittlerweile ist es zappenduster.
Bevor ich schlafe, schreibe ich eine Postkarte an meine Familie. Und ich probiere den Internetzugang aus... Es klappt! Und Zeitschriften studiere ich, die im Fernsehraum ausliegen, speziell die der DHS. Von diesem Selbsthilfeverein habe ich noch nie gehört, aber Frank ist total begeistert. Er lernte Lorenz bzw. die Rendsburger Reha darüber kennen.
Woche 1: Sonntag
Frühstück um 8 Uhr ist OK, eine angenehme Zeit. Um 10 Uhr erwartet Lorenz uns zu einer Stadtführung. Es geht los am Paradeplatz, wo sich Prinzenstraße, Königinstraße, Königstraße, Kronprinzenstraße und Prinzessinstraße treffen – angeordnet wie an der Tafel der dänischen königlichen Familie. Rendsburg war in seiner Geschichte auch dänisch.
Wir erfahren etwas über die Eider und ihre „Kappung“ durch den Nord-Ostseekanal, laufen auf der Blue Line, dem blauen Weg, der an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten vorbeiführt, zum alten Rathaus und einem Platz, der früher einmal ein Hafen war.
Von Wasser ist dort heute nichts mehr zu sehen. Geschäfte gibt es, Banken, einen Busbahnhof. Zur Orientierung reicht uns das erst einmal.
Nach dem Mittagessen führt Anja uns zum Kanal. Die Sonne scheint, ab und zu kommt uns ein Riesenfrachter entgegen oder überholt uns. Leider fährt die Schwebefähre heute nicht. Dafür unterqueren wir den Kanal. Über eine lange Rolltreppe und Fahrstühle geht es in den Fußgängertunnel.
Die Sonne meint es gut mit uns. An einem Eiscafé auf der anderen Seite gönnen wir uns eine Portion Eis. Die ganze Zeit schon tauschen wir uns untereinander aus – woher wir kommen, warum wir hier sind, wie es uns berufsmäßig geht. Morgen soll die eigentliche Vorstellungsrunde sein.
Woche 1: Montag
Freiwillig wache ich mit dem Weckergerappel bereits um 6 Uhr auf. Harald – 75 Jahre, Frank – 53, und ich haben uns zu einem Morgenspaziergang verabredet. Frank in kurzen Hosen und T-Shirt, ich in dicker Jacke, Harald, der jährlich an die 12000 Kilometer radelt, in ordentlich sportlich-praktischer Kleidung... Nach einer knappen Stunde am Kanal sind wir zurück.
Um 9 Uhr gibt es das große Kennenlernen: In Partnerarbeit interviewen wir uns gegenseitig zur Person, Hörschädigung und Ziel der Reha. Mein Partner ist Thomas, eine sehr interessante Persönlichkeit. Ich bewundere alle Menschen, die den Schritt in die Selbständigkeit wagen. Er als Physiotherapeut wird es bis zum Heilpraktiker schaffen.
Nach dem Mittagessen beschäftigen wir uns mit Kommunikation, was man dafür braucht und was zum Verstehen dazugehört.
Wie viele Buchstaben hat das deutsche Alphabet? 26 – klar, aber 29, wenn man ä, ö und ü hinzuzählt, und 30 mit dem ß. Und es gibt 42 Laute, aber nur 12 (!) Lautbilder. Davon sind allein 5 die Vokale. Wir schauen diese näher an, beschreiben sie. Fortsetzung am Mittwoch.
Wir erhalten unseren Wochenplan, morgen sind Einzelgespräche und Krankengymnastik angesagt.
Das Essen schmeckt, und ich muss mich zusammenreißen. Nicht dass das Auge mehr isst, und mehr auf dem Teller landet als ich schaffe.
Die Temperatur ist immer noch angenehm, auch wenn es jetzt leicht nieselt – also noch ein Spaziergang in Richtung Brücke und Schwebefähre. Heute funktioniert sie, wir lassen uns einmal hinüber und herüber ziehen bzw. schweben...
Woche 1: Dienstag
Pünktlich 6:30 Uhr warten Harald und Frank auf mich, der eine mit Kniebundhose und Stock, der andere in kurzem sportlichem Outfit, ich habe wieder den dicken Anorak an... Wir laufen zügiger, und große Schiffe gibt es auch zu sehen...
Heute stehen Einzelgespräche an. Meines ist erst um halb 11, ich kann noch ein bisschen bummeln.
Nach dem Mittagessen probieren wir den Weg an der Eider in die Stadt aus und sind pünktlich zum Kaffee und dem nächsten Seminar zur Kommunikation wieder zurück.
Im Raum stehen Fragen wie „Wie kann ich meine Kommunikation beeinflussen, damit ich besser verstehe?“ Ich gewinne die Erkenntnis: „Ich muss aktiv werden!“ Nur: Was ist die richtige Sprechgeschwindigkeit, welches die richtige Lautstärke?
Die eigene Vorbild-Wirkung ist wichtig: also selbst die Hand nicht vor den Mund halten beim Sprechen, selbst deutlich sprechen, und nicht weiter reden, wenn der andere sich wegdreht... Am Donnerstag geht es weiter.
Markus fehlt zum Gleichgewichts-und Koordinationstraining, weil die Durchfahrt eines Kreuzfahrtschiffes angesagt war. Nach Ende der sportlichen Aktivität sausen Bernd und ich los, und auch Frank entschließt sich zu einem Spurt an den Kanal. Eine Frau bestätigt uns: Noch kein Schiff in Sicht. Gegen 18 Uhr geben wir schon fast auf, da nähert sich das Traumschiff. Wirklich riesig. Dass es durch die Brücke passt, grenzt fast an ein Wunder. Wir fotografieren und winken, und es winken Reisende auf dem Riesenpott zurück. Nun schmeckt das Abendbrot doppelt so gut.
Woche 1: Mittwoch
Obwohl ich erst Mitternacht ins Bett gegangen bin, mache ich mich wieder pünktlich um 6:30 Uhr auf den Weg nach draußen, wo Frank und Harald schon warten... Nach dem einstündigen Morgenspaziergang, schaffe ich noch einen ersten Anruf, um unserem Vereins-Ehrenvorsitzenden zuhause zum 85. zu gratulieren. Er freut sich sehr über die erste Gratulantin.
Mundabsehen und Fingeralphabet stehen heute Vormittag auf dem Plan. Nach der Wiederholung der Vokale erhalten wir Wortreihen. Drei ähnlich klingende Worte werden vorgesagt, dann wird eines wiederholt, das wir anhand des Mundbilds erkennen müssen. Dann steigern wir uns auf 5-Wort-Reihen.
Nun ging es zur 'Fingergymnastik'. Wir lernen das Fingeralphabet von A bis Z, dazu noch die Umlaute und ein Sonderzeichen für SCH...
Ich 'fingere' mit links, weil durch meine steifen Gelenke rechts die Buchstaben undeutlich werden. Ich spüre die Schulter, und ich staune, wie viele Buchstaben ich schon behalten habe, den eigenen Namen, Geburtsort u.a. Aber bei den anderen Teilnehmern die Buchstaben zu lesen und zu verstehen, da komme ich gerade bei den schnellen Experten wie Harald, Robert und Bernd nicht hinterher ...
Nach dem Mittagessen lassen wir uns von der Sonne wärmen und testen Leih-Fahrräder. Dann geht’s wieder ins Seminar, wo es diesmal um Technik geht, Otoplastiken, Schmuck-Otoplastiken, Zusatzgeräte und auch die Anatomie des Ohres. Vieles ist mir bekannt, einiges wird aufgefrischt.
Morgen wird die Akustikerin eine Hörgeräteüberprüfung durchführen und uns unsere Hörkurven erklären. Das ist etwas, was ich bis heute noch nicht so ganz begriffen habe. Wir sind erst kurz vor 18 Uhr fertig.
Frank hat sich ein neues Paar Laufschuhe gekauft und ich eine Bürste zum Schuhputzen. Nach den Morgenspaziergängen haben meine Schuhe eine Reinigung nötig.
Abends klebe ich noch das Fingeralphabet an die Tür und übe. Das ABC schaffe ich, allerdings nicht in so rasantem Tempo wie die “Profis“. Ob ich es auch selbst lesen kann?
Woche 1: Donnerstag
6:30 Uhr ist unser Trio wieder auf den Beinen. Frank legt Tempo vor. Nach 20 Minuten sind wir schon an der Stelle, für die wir gestern 25 Minuten brauchten.
Nach dem Frühstück erwartet uns Anja. Fingergymnastik gibt es heute keine. Wir beschreiben Laute und deren Mundbilder: F, B, S, D und andere. Lippenstellung, Zunge, Kinn, Wangen und Zähne, Ähnlichkeiten mit anderen Lauten...
Nach einer kurzen Pause steht Verhaltenstraining mit Lorenz auf dem Programm.
Nicken während eines Gesprächs kann manchmal eine Falle sein. Viel besser ist es, das Verstandene zu wiederholen. Oder gezielt nachzufragen, wenn ich etwas nicht richtig verstanden habe. Oder man schlägt mit den Fragen: „Worum geht es?“ Und: „Was willst du darüber wissen?“ gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Denn wenn der Gesprächspartner überlegt, dann spricht er eventuell auch etwas langsamer, und gleichzeitig erfahre ich mehr über das Thema und kann gezielt weiter fragen.
Zum Schluss schreibe ich mir auf:
„Für unsere Ohren können wir nichts. Wir brauchen uns dafür überhaupt nicht zu entschuldigen und gehen offensiver damit um. Das gezielte Nachfragen ist eine Möglichkeit schneller zu verstehen.“
Nach dem Mittagessen muss die erste Gruppe, zu der auch ich gehöre, ins Zentrum zu Maren, der Akustikerin. Mit Frank laufe ich zurück, Bernd überholt uns mit dem Rad. Wir haben wirklich außergewöhnliches Wetter. Trotz der Sonne ist die Luftfeuchtigkeit enorm, die gepflasterten Fußwege glänzen wie Speckschwarten und auch das Gras ist nass...
Woche 1: Freitag
Ich hätte nicht geglaubt, dass so ein gemeinsamer zügiger Morgenspaziergang so süchtig machen kann. Gestern Abend war ich schlagkaputt, aber heute früh um 6:30 Uhr konnte ich nicht anders. Frank geht es wie mir, für Harald ist die Morgenrunde dagegen Alltag – nicht nur hier in Rendsburg. Am Hafenamt liegt ein großes Segelschiff, drei Mann sind wach und beantworten unsere Fragen: 32 Meter hohe Masten, einwöchiger Segeltörn, Österreich, 25 Mann, ja - die schlafen alle noch, der einzige „Profi“ ist der Kapitän, die Besatzung besteht aus Hobbyseglern...
Von 9 bis 12 Uhr steht Selbsterfahrung mit Dr. Hase auf dem Plan. Der Name kommt mir bekannt vor. Dr. Ulrich Hase: Jurist, Sonderpädagoge, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Hörgeschädigte (DG)... In der kurzen Vorstellungsrunde erfragt Uli – wir duzen uns alle hier – unsere Namen und Wohnorte. Er meint, wir wären uns schon mal begegnet. Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Na klar, ich habe mich ja schon zweimal mit Renate Welter auf dem Hainstein getroffen, wo die DG tagt... Die drei Stunden mit Uli vergehen wie im Flug. Ulis Einstellung: „Ich finde es wohltuend, dass ich wenig höre.“ Aber das ist nicht unsere Diskussionsgrundlage.
In der kleinen Pause tragen wir unsere Probleme zusammen. Wir schreiben sie auf Blätter, die wir vor uns auf dem Boden ausbreiten. Nun geht es darum, Ordnung hineinzubringen. Dann nehmen wir uns das erste Problem vor.
Robert erzählt über seine Schwierigkeiten: Blickkontakt strengt ihn an, seine Erholungsphasen werden falsch verstanden. Danach stellen wir ihm Fragen, d.h. wir machen bewusst keine Anmerkungen oder Kommentare, Robert antwortet. Jetzt kommt der dritte Punkt: die Suche nach der Lösung. Robert hört zu, darf aber nicht sprechen. Dann folgt seine Rückmeldung. Das Ganze ähnelt der Problemlösungssuche, wie sie im kooperativen Lernen (cooperative Learning) geübt wird. In einem Rollenspiel muss Robert jetzt zeigen, was er für ähnliche Problemsituationen mitnimmt...
Nach dem Mittagessen geht es mit Lorenz und dem Thema Körpersprache weiter.
Nach der Erklärung, was Lautsprache begleitendes Gebärden (LBG) und die Deutsche Gebärdensprache (DGS) unterscheidet, tragen wir an die 60 bis 70 natürliche Gebärden zusammen. Um das Auge für die Handbewegungen zu schulen, spielen wir „Stille Post“, aber mit Gebärden. Die Zeit vergeht schnell.
15:30 Uhr ist für heute Schluss, das Wetter ist immer noch schön und die Fahrräder warten auf ihren Einsatz. Ich schließe mich Frank an, der eine Bekannte im benachbarten Stadtteil besuchen möchte. Dort werden wir schon erwartet. Die Menschen hier sind übrigens sehr freundlich. Und was mir auch angenehm auffällt: Es gibt keine Rennräder, alles radelt gemütlich...
Die zweite Woche
Woche 2: Samstag
Auch am Wochenende ist unser Trio pünktlich auf dem Weg zur Brücke... Wie gestern genießen wir den herrlichen Anblick des Brückenpanoramas im Sonnenaufgang.
Von der Küche erhalten wir Lunchpakete und um 9 Uhr geht unser Ausflug nach Dänemark los. Es dauert nicht lange, bis wir die Grenze erreichen. Wir stehen mit dem Auto an einem unendlichen Strand, breit und weit… und viele Autos stehen dort fast schon im Wasser. Die Flut ist im Anmarsch, was wir beim „Wattwandern“ merken. Schnecken, Wattwurmhaufen, auch hier und da mal eine Krabbe oder Qualle.
Nach Picknick und Sonnenbad ist das Wasser wieder da. Wenn man erst einmal drin ist, ist es relativ angenehm, ich schätze 15 bis 16 Grad werden es gewesen sein. Es geht kaum Wind, die Lufttemperatur beträgt immerhin 25 Grad. Man muss es sich vorstellen: Wir schreiben den 1. Oktober und fahren nach Dänemark an die Nordsee, um dort zu baden!
Woche 2: Sonntag
Der Tag beginnt wie gewohnt, nur habe ich diesmal Nordic-Walking-Stöcke dabei. Die Männer meinen, der Laufstil sieht gut aus. Viel interessanter sind aber die vielen großen Frachter, die heute so früh unterwegs sind.
Zum Frühstück packen wir wieder Lunchpakete. Heute geht es nach Husum und zum Nordstrand. Der Bus ist voll und ich darf als „Kleine“ auf dem halben Platz neben dem Fahrer (Olaf) und Markus sitzen. Hat den Vorteil, dass ich alles gut sehen kann. Der Nachteil aber ist, dass man schlecht vor sich hin dösen kann. Es gibt so viele Gesprächsthemen, und ich bin heute relativ gut drauf, was das Hören und Verstehen betrifft. Hinter uns sitzen Frank, Robert und Anneliese und ganz hinten Harald und Ina mit ihrem Sohn.
Im kleinen Hafen von Husum liegen die Schiffe im Schlamm. Es ist Ebbe. Nach einem kleinen Stadtbummel, geht es weiter nach Nordstrand. Das ist übrigens kein Strand, sondern eine Insel, die man über einen langen Damm erreicht. Und wir spazierten auf dem unendlich scheinenden Deich, wo viele, viele Schafe grasten.
Woche 2: Montag / 3. Oktober
Wir sind heute früh super schnell. Es ist wärmer als an den vorigen Tagen, aber nicht so klar – kein Stern und keine Morgenröte… Auch keine Schiffe... Als es anfängt zu tröpfeln, laufen wir noch schneller.
Nach dem Frühstück geht es trotz Feiertag weiter im Programm. Olaf übernimmt heute, und wir arbeiten wieder mit dem Fingeralphabet. Es bereitet mir kaum noch Probleme, ich muss nur sicherer und schneller werden. Die Zeit, die es manchmal braucht, nimmt keiner krumm. Es herrscht eine lockere Atmosphäre, ohne Druck lernt es sich leichter, keiner hat Angst – Frank kommentiert: „Ich bin eben ein Schlappohr...“
Beim anschließenden Mundabsehen verstehe ich nur Bahnhof... Mit Mimik und Gebärden kriege ich vielleicht 15 bis 20 Prozent von dem heraus, was gesagt wird.
Viel Spaß haben wir beim „Entwicklungskrimi“. Erst spricht uns Olaf Sätze lautlos vor, eine zusammenhängende Geschichte, die mit den Worten „und im Kofferraum lag...“ endete. Mit drei zuvor buchstabierten Wörtern soll der Minikrimi beendet werden. Die Ergebnisse gibt es wiederum als Abseh-Übungseinheit, und wir haben unseren Spaß an der blühenden Fantasie, die sich entwickelt.
Auch Anja versucht, uns spielerisch über den Feiertagsnachmittag zu bringen. Abseh-Memory mit „lebenden“ Karten. Die Zeit verging schnell und Anja muss sich ebenfalls beweisen. Aber wir machen es ihr nicht leicht, und so nutzt Friedrich die Gunst der Stunde zum Sieg.
Bis zum Abendbrot spazieren und radeln wir nach den verschiedensten Richtungen. Das Wetter hält sich und soll erst am Donnerstag kühler werden... Eine Woche ist herum, und ich fühle mich sehr wohl hier.
Erstaunlich die Fortschritte einiger in so kurzer Zeit. Ich bewundere Anneliese, die nach ihrer Operation, der Cochlea Implantation vor einem Monat, sich jetzt schon an eine Reha wie diese traut. Am ersten Tag wirkte sie so abgespannt. Und mit jedem Tag verschwindet ein Fältchen, versteht sie wieder ein bisschen mehr, und ihr Lächeln ist strahlender...
Ich bewundere auch Herbert, der uns mit so viel liebenswerter Hartnäckigkeit und Geduld zum Gebärden auffordert. Auch Bernd, den ich an den ersten zwei Tagen kaum verstanden habe, spricht deutlich und nicht zu schnell. Das ist wahrscheinlich die gegenseitige Vorbildwirkung ...
Woche 2: Dienstag
In der Frühe ist es mit 14 Grad immer noch warm. Wie gewohnt traben wir pünktlich los. Ich habe Frank zum „Stockeinsatz“ animiert. Nun stöckeln schon zwei, Harald hat seinen sicherheitshalber mit.
Auf den Vormittag mit Uli Hase freuen sich alle. Nach einer kurzen Zusammenfassung des letzten Seminars stellen wir noch einmal fest, wie wichtig gezieltes Nachfragen ist und dass die meisten unserer Gruppe passiv auf Störungen in einem Gesprächsverlauf reagieren. Erst wenn etwas passiert ist, gibt man es zu und weist auf die Hörschädigung hin. Die Verunsicherung ist auf der Gegenseite beim Gesprächspartner dann meist genauso groß.
Ulis Rat: „Ich sage es so früh wie möglich, aber nicht sofort.“
Wichtig die Dreiklang-Regel:
- Ich bin hörgeschädigt.
- Bitte schauen Sie in meine Richtung, dann kann ich Sie sehen und besser verstehen.
- Zum Thema zurückkommen.
Erst ist Thomas Ulis Übungspartner, dann ich. Uli lässt uns beim Rollenspiel solange 'arbeiten' und schlüpft auch selbst in die Hörgeschädigtenrolle, bis sich der Dreiklang gefestigt hat.
Dann geht es weiter mit Problemlösung. Harald möchte seinem gehörlosen Kollegen, der ausgegrenzt wird, helfen. Aber wie? Es ist schwer, beim Bund etwas ausrichten zu wollen. Uli sagt: Es gibt neue Regelungen, wie die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsplatz zu berücksichtigen sind. Damit sollten wir die Arbeitgeber beschäftigen, und es sollten sich die Schwerbehindertenvertretungen dafür einsetzen: Integrationsvereinbarung
Auch mein 'Stressproblem' hat mit Arbeit zu tun – ich bin Lehrerin. Und es ist schon erstaunlich, wie mein Problem mit Hilfe der anderen schon fast gelöst ist. Bernds Tipp mit dem Tagesplan versuche ich umzusetzen, schließlich haben wir in der Schule früher auch einen Wochenplan gemacht. Damit wollte unser Klassenlehrer beweisen, wie viel freie Zeit uns noch zum Üben und für Hausaufgaben bleiben. Mir bleibt Zeit, unser Gespräch bis nächste Woche zu überdenken...
Am Nachmittag verteilt Anja Arbeitsmaterial zum Absehen, dann beschäftigen wir uns mit dem Großauftritt der Akustiker am Donnerstag. Etwa 20 angehende Akustiker werden uns besuchen und unsere Fragen beantworten. Gemeinsam tragen wir Fragen zusammen. Das geht von Preis bis Reinigung, Zubehör und Zukünftiges, Batterien und Akkus bis hin zur Frage nach Solarbetrieb für Hörgeräte... und was ein Audiologe eigentlich macht.
Mit Physiotherapeut Bernd gibt es dann noch eine Stunde Gleichgewicht-Koordinationstraining. Die Übungen sind nicht schweißtreibend, tun den Knochen und der Balance aber gut.
Im Fernsehraum zeigt uns Anneliese ihr neues Ohrpassstück-mit Strass-Steinen! Die habe ich letzte Woche in Marens Seminar auch schon ins Herz geschlossen. Markus hat Fotos auf einen USB-Stick gespeichert, wir lassen die erste Woche nun am Bildschirm Revue passieren.
Woche 2: Mittwoch
6:30 bis 7:30 Uhr Kanallauf als stimmungsvoller Einstieg in den Tag. Das Frühstück schmeckt.
Von 9 bis 12 Fingeralphabet und Mundabsehen. Das Fingeralphabet beherrsche ich mittlerweile, wenn auch noch nicht besonders schnell, und beim Lesen muss ich manchmal zweimal schauen. Aber beim Mundabsehen geht dann doch öfters die Fantasie durch bzw. verstehe ich nach wie vor Bahnhof, wenn ich mir keinen Reim darauf machen kann.
14 bis 18 Uhr erklärt Maren unsere Hörkurven. Jetzt habe ich es endlich kapiert! Und weiß, was die einzelnen Linien bedeuten, die Knochen- und Luftlinien, und wie die Kurven zu deuten sind. Mit der „verschiebbaren“ Banane lässt sich auch die Arbeitsweise der Hörverstärkung erklären. Dann kommen wir zum Cochlea Implantat, dem CI, und ich kann Harald und Friedrich zu ihren Höreindrücken befragen.
Woche 2: Donnerstag
Blick aus dem Fenster: Feucht und nieselig. Meine beiden Laufpartner warten schon. Erst später erfahre ich, dass sie den Spaziergang von mir abhängig gemacht hatten. Da ich heute unbedingt einen Geburtstagsbrief einstecken muss, stöckeln wir los…
Anja lässt uns wieder Mundabsehen. Nach wie vor komme ich nur schwer hinterher. Nach der Pause bilden Ina, Friedrich und ich ein Team. Zu verschiedenen Bildern zuerst je fünf Wörter lautlos sprechen und das Ganze dann in fünf kurze einfache Sätze verpacken Es macht Spaß mit den beiden zusammenzuarbeiten. Wir freuen uns gemeinsam über unsere noch bescheidenen „Abseh-Erfolge“, meist erst nach der Wiederholung.
Am Nachmittag kommen die auszubildenden Akustiker ins Nordkolleg bzw. zu uns. Auch die jungen Leute haben sich Fragen durch den Kopf gehen lassen. Es dauert aber, bis das Eis bricht. Was das Umgehen mit Hörgeschädigten betrifft, haben sie das Wichtigste bereits ziemlich komplett erfasst. Unsere Fragen zur Technik können sie aber nicht beantworten, da erst im Anfangslehrjahr lernend. So erübrigt sich auch die Frage nach solarbetriebenen Hörgeräten…
Dann ist für heute schon Schluss. Zum Radfahren ist es mir wegen der Nässe zu unsicher, aber Spazieren mit dem Schirm geht...
Woche 2: Freitag
Wir laufen heute im relativ Trockenen. Ich glaube, die Leute, die mit ihren Hunden Gassi gehen, kennen unser Dreigespann schon. Auf der „Rückrunde“ kommt uns ein Bekannter entgegen – Herbert dreht auch eine Runde, um sich seine Morgenzeitung (das „Bildungsblatt“) zu holen.
Anja bespricht mit uns zuerst das Wochenendprogramm: Mit dem Zug soll es nach Kiel und von dort mit der Fähre zur Insel Laboe gehen. So bleibt uns für heute nur noch eine Übung zum Mundabsehen, 10 Uhr ist Kaffeepause, und 15 Minuten später sind wir schon wieder im Verhaltenstraining.
Keiner in der Gruppe hat etwas dagegen, dass Thomas' Frau Marie und Töchterlein Mia mitmachen. Als Frank das kleine Lockenköpfchen auf den Schoß nimmt, fühlt es sich an seinen warmen Körper geschmiegt und von starken Händen beschützt so wohl, dass die Augen immer kleiner werden... Ein himmlisches Bild... Lorenz muss sich mit unserer geteilten Aufmerksamkeit abfinden und ganz schön arbeiten, um uns zum Reden zu kriegen.
Nach der Mittagspause kommen endlich die Gebärden dran. Logisch klingt die Zeiteinteilung, und so gebärden wir Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit, morgen, heute, übermorgen, gestern und vorgestern, ziehen den „Jahreskreis“, zeigen Tag, Woche und Monat sowie die Tageszeiten. Schade, dass es erst Dienstag weitergeht.
Die Zeit hier vergeht wie im Fluge. Dabei erschien mir die erste Woche unendlich lang, noch so viel Zeit lag vor uns...
Die dritte Woche
Woche 3: Samstag
Pünktlich 6:30 Uhr starten wir in einen klaren neuen Tag. Das Frühstück schmeckt, und ich packe eine Kleinigkeit für unterwegs.
Wir fahren nach Kiel, schippern mit der Fähre durch die Bucht zu verschiedenen Anlegestellen und steigen schließlich in Laboe aus. Möwen, Wind und Windsurfer, Wellen, Kälte, ein Strand voller Strandkörbe erwarten uns...
Frank schafft es, einen Strandkorb zu mieten. Damit hat bei der Kälte bestimmt keiner gerechnet, aber er bekommt einen Schlüssel für den Korb... In der Mitte zwischen ihm und Anja lässt es sich aushalten.
Manche Leute, die uns drei da sitzen und Sonnenstrahlen erhaschen sehen, wundern sich über das kurze T-Shirt und die Shorts von Frank. Er macht dann mit, fährt sich über die Stirn und stöhnt: „Ist das heute eine Hitze...“
So herzhaft lachen wir, immer wieder herrlich die verdutzten Gesichter der Passanten. Vielleicht haben wir unser Leben damit ein bisschen verlängert, denn jedes Lächeln verlängert dein Leben um 18 Sekunden... – behauptet zumindest Frank.
Woche 3: Sonntag
Morgenspaziergang im flotten Schritt. Irgendwie ist es heute viel zeitiger hell, klar und schon fast frostig, nur 1 Grad. Frühstück um 8 Uhr, und weil Sonntag ist, wird dann wieder ausgeruht.
Nach dem Mittagessen satteln Frank und ich die Räder. Wir wollen einfach den Kanal entlang fahren – so weit wie wir in zwei Stunden kommen. Bei 15 Grad und Sonnenschein brechen wir auf. Beim Fahren singe ich vor mich hin und achte auf die korrekte Bildung der Laute. Auf einmal habe ich das Gefühl zu wissen, was ich beim Sprechen bisher meist verkehrt mache...
Frank vorneweg in kurzem T-Shirt und Shorts grüßt die ganze Welt freundlich auf dänisch... Die Leute, die uns begegnen (meist fröstelnd in dicken Jacken) grüßen im ersten Moment zurück, schauen dann verdutzt und erstaunt auf seine sommerliche Bekleidung. Und diese vielsagenden, ungläubigen und teilweise amüsanten Blicke ernte dann ich, die ich hinterher fahre in Jacke, Wollmütze und Fingerlinge verpackt… Wir nehmen die nächste Autofähre und kommen schließlich zur Lotsenstation.
Ein ständiges An- und Abfahren. Drei Boote schwirren um die großen Kähne… Sogar die Küstenwache ist dabei.
Als wir umkehren, fallen ein paar Tropfen und wir schaffen es, mit dem einsetzenden Regen wieder im Nordkolleg zu sein.
Woche 3: Montag
6:30 Uhr... Heute sind wir zu viert, Herbert ist mit von der Partie. Ein klein wenig ändert sich die Route, da er seine Zeitung an der Tankstelle holt. Es ist erstaunlicherweise trocken, aber das ändert sich schon bald.
Heute, morgen und am Donnerstag steht jeweils von 9 bis 12 Uhr Selbsterfahrung mit Uli auf dem Plan. Für mich persönlich war das heutige Gespräch richtungsweisend. Ich habe mitgenommen:
- Tages-/Wochenplan
- Hilfe beim VdK suchen
- mich mit Kommunikationspädagogik beschäftigen
- meine Schüler noch mehr zum deutlichen Sprechen erziehen
Selbstentwicklung – dieses Stichwort steht auf Inas Blatt. Zuerst erzählt sie selbst. Ich bin betroffen über ihre pessimistische Haltung zum Leben, aber auch ihre persönlichen Probleme. Sie sieht toll aus, spricht sehr gut Deutsch, der leichte Akzent und die deutliche Aussprache sind ihr „Markenzeichen“. Nicht jeder Deutsche spricht so gut wie sie. Trotzdem hat sie Komplexe. Ina möchte das Gefühl haben, gebraucht zu werden.Mit unseren Fragen und einem kurzen Feedback sind die drei Stunden schnell um, und alle sind gespannt, ob es Lösungsmöglichkeiten oder zumindest Ansätze gibt.
Nach dem Mittagessen ist wieder Mundabsehen angesagt. Anja hat einen Lückentext für uns. Ungefähr die Hälfte aller Wörter verstehe ich gleich beim ersten Mal. Ein bisschen helfen mir wohl meine gestrigen „Lippenübungen“.
Dann dürfen wir in Gruppen arbeiten. Männerwahl ist heute. Herbert wählt Harald und mich zum gemeinsamen Arbeiten. Jeder hat ein anderes Thema und soll seine Mitstreiter dazu interviewen und darüber berichten. Aber alles ohne Stimme. Absehen, Gebärden und Fingeralphabet, auch Gestik und Pantomime sind erlaubt. Ich glaube, Herbert hat uns etwas gefoppt, nur beweisen können wir es nicht...
Nach dem Abendessen probieren wir an unseren Laptops den empfohlenen Link von Uli. Dort wird mit akustischen Beispielen und entsprechenden Audiogrammen gezeigt, wie „normal“ hörende Menschen hören und verstehen, und wie es sich bei hörbehinderten Menschen anhört.
Wieder auf dem Zimmer, erledige ich noch meine Post. Außerdem hat mich Inas Geschichte so berührt, dass ich ihr einfach eine Mail schreibe.
Woche 3: Dienstag
Heute früh regnet es, trotzdem stehen vier liebe 'Verrückte' vor der Tür. Harald hat sein CI auf dem Zimmer gelassen, Frank die Hörgeräte ebenfalls. Statt Stöcke nehme ich den Schirm abwechselnd in die Linke oder Rechte...
Von 9 bis 12 Uhr überlegen wir gemeinsam und denken über Inas und unsere Selbstfindung nach.
Es klingt manches fast philosophisch und so sammeln sich in meinem Heft Gedanken und Fragen. Es ist unheimlich schwer diese zu beantworten:
- Was macht mich glücklich?
- Was kann ich gut?
- Wo stehe ich?
- Wie baue ich mich auf?
Schrittweise Erfolgserlebnisse und positive Momente aufbauen...
Ina nimmt einen Rat mit, der auch für andere bzw. mich passen könnte: „Nicht so viel denken, was die anderen denken, oder nicht denken, sondern spontaner sein.“
Uli ist noch eine Berufsalternative für mich eingefallen, als Coach. Meine Stärken sind Beobachten und Zuhören, auch das Hinterfragen. Aber ich scheue mich, offensiv und fordernd auf andere zuzugehen. Mit seinem Hinweis auf Kommunikationspädagogik werde ich mich weiter befassen.
Aus Watzlawicks 'Anleitung zum Unglücklichsein' zitiert Ina: „Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es.“
Nach dem Mittagessen sind endlich wieder Gebärden dran.
Folgende Sätze notiere ich mir zum Wiederholen und Üben:
- Wer ist das?
- Was hast du gestern Mittag gegessen?
- Wie viele Menschen sind hier?
- Was bedeutet das Wort?
- Wie geht es dir?
- Wie hast du geschlafen?
- Wann treffen wir uns heute Abend?
- Wohin fährst du im Urlaub?
- Warum bist du hier?
- Wohin gehst du heute Abend?
- Fragewörter, Personalpronomen, Besitz, ?, !, bitte.....
Da gibt es aber noch zu tun…!
Woche 3: Mittwoch
Wir sind wieder vier und machen uns bei trockenem Wetter auf die Morgenrunde. Sie ist jetzt wegen der veränderten Strecke (bis zur Tankstelle für Herberts Zeitung) etwas kürzer. Nach einer Dreiviertelstunde sind wir wieder im Nordkolleg.
Heute steht auf dem Plan Artikulation – sowohl am Vormittag als auch am Nachmittag...
Anja stellt uns die Frage, WARUM die Artikulation so wichtig ist. Wir tragen zusammen:
- Vorbildwirkung
- sich verständlich machen wollen
- der Gefahr einer Sprachmonotonie entgegenwirken
- die eigene Sprache kontrollieren und mehr...
Letztendlich geht es darum, etwas Kontrolle über unsere Aussprache zurück zu gewinnen, die Lautstärke einschätzen zu können und durch eigenes Sprechen Einfluss auf den Gesprächspartner auszuüben.
Und was ist wichtig für gutes Sprechen? Luft...Richtig, die Atmung! Und deswegen machen wir Atemübungen. Auch die Körperhaltung beeinflusst das Sprechen, wir probieren es aus. Und wichtig ist natürlich auch die richtige Bewegung des Sprechapparates. Und das wird sogar gefilmt! Zuerst noch einmal kleinere Lockerungsübungen und dann erfolgt die Aufzeichnung.
Nach der Mittagspause wird ausgewertet. Die Gruppe gibt jedem ein Feedback zu Tempo, Mundbild, Lautstärke, s-Laute und Endungen, Blickkontakt, Mimik und Pausen, und es wird die Aufnahme mit der Selbsteinschätzung verglichen. Ich freue mich, dass alles gut ankam, weil ich immer etwas an meinem Mundbild zweifele. Normal könnte ich sogar noch schneller sprechen, wird mir bescheinigt.
Woche 3: Donnerstag
Es ist klar und trocken. Als Herbert auch 5 Minuten nach unserer üblichen Abmarschzeit noch nicht da ist, tippen wir auf „Verschlafen“ und laufen los.
Auf der Straße überlegen Harald und ich, ob die nette Radfahrerin, der wir jeden Tag begegnen, schon vorbeigefahren ist... Was für ein Erstaunen, als wir dann ein langsam fahrendes Rad auf uns zukommen sahen. „Sie sind doch nicht etwa nur wegen uns so langsam gefahren?“ „Doch...“ Wir halten alle einen Moment an, und sie erzählt, wie lustig und interessant sie unser Grüppchen findet und täglich über uns grübelt – Hausgemeinschaft, Freizeit- oder Sportgruppe, Gleichgesinnte? Wir stellen uns ihr als Reha-Teilnehmer vor.
Auch beim Frühstück vermissen wir Herbert, jetzt machen wir uns ernsthaft Sorgen... Aber um 9 Uhr ist er wieder da, er war mit dem Auto einkaufen. Ich bin wie die anderen erleichtert.
Für heute hat Uli uns eine Hausaufgabe aufgegeben: „Stellt euch vor, ihr seid zur Hochzeitsfeier eures Neffen oder Sohnes mit etwa 70 Personen eingeladen…Was tut ihr? Wie bereitet ihr euch darauf vor?“
Jeder hat da so seine eigene Taktik, nicht hingehen der eine, früher nach Hause gehen der andere, eine Rede vorbereiten nach dem Motto gesehen werden (und dann nicht mehr) und ähnliches. Auch der Tipp von Uli, dass die Frau bleibt und er sie später abholt, kommt an.
Danach werden wieder Problemlösungen gesucht. Erst legen Friedrich bzw. Frank ihre Anliegen dar, dann stellt die Gruppe Fragen. In der dritten Phase erörtert die Gruppe das jeweilige Problem und versucht Wege aufzuzeigen. Erst zum Schluss geben die beiden ihre eigene Rückmeldung. Bei beiden geht es u.a. um das Verständnis der Angehörigen.
Wie oft fragen wir unseren Partner schon: „Wie geht es dir mit meiner Hörschädigung?“ Man muss sich viel mehr darüber austauschen und reden.
Denen, die mit ihrer Hörschädigung hadern (und leiden), entgegnet Uli: „Das Ausmaß der Hörschädigung steht in keinem Zusammenhang mit der Lebenszufriedenheit.“
Wie oft laufen beide Partner vor der Kommunikation weg - aus Bequemlichkeit, Angst, Unverständnis!
Frank könnte über die Schwerbehindertenvertretung um die Absicherung des Arbeitsplatzes kämpfen. “Du hast auf zwei Ebenen, bei Arbeit und Familie Punkte, die Druck machen. Das ist nicht gut für deine Ohren“, gibt Uli zu bedenken.
Am Nachmittag ist Gebärden mit Lorenz angesagt – in Kurzfassung: Trinken, Kaffee, Tee, Bier, Wein, Sekt, Schnaps, Wodka, Wasser, Saft, Orangensaft, Apfelsaft, Schorle, Spezi, Mixgetränk, Cola, Coca Cola, Limo, Whisky, Cappuccino, Espresso, Latte Macchiato, Milchkaffee, Sahne, Milch … die Gewürze, Zucker, Salz, Pfeffer… Und dann kommt das Essen dran....
Nach dem Kaffee muss ich noch einmal zum Briefkasten. Das Wetter ist herrlich für einen Kanalbummel.
Woche 3: Freitag
In der Frühe verabschieden wir unsere nette Radfahrerin mit einem Schokoladengruß in ihren Urlaub.
Anja lässt uns heute Rezepte vom Mund absehen. Alles alternative Vorschläge für die Weihnachtszeit, wie sie uns vorher erklärt. Aber bei manchen Zutaten trauen wir den Ohren – nein, den Augen nicht. Man nehme ein bis zwei 'Elefanten'??? (Gemeint war der Elefantenpudding, der wiederum so heißt, weil er in einer Elefantenform zubereitet wird).
Mit Lorenz steht wieder Verhaltenstraining an... Ganz besonders geht es um das gezielte Nachfragen und das Ausnutzen aller Kommunikationsmöglichkeiten, also auch Fingeralphabet und Gebärden.
Nach der Mittagspause erfolgt die weitere Auswertung der Videoaufzeichnungen unserer Artikulationsübungen.
Die letzte Woche
Woche 4: Samstag
Heute bin ich geflogen! Nicht auf die Nase, sondern echt! Ein Rundflug bei schönstem Wetter über Rendsburg ist ein Erlebnis. Über die Hochbrücke hinaus und noch höher… Aus 500 Metern konnte ich Wiesen und Felder, Dörfer, Straßen, den Kanal und die Eider aus der Vogelperspektive betrachten. Ein bisschen Schiss hatte ich ja zu Beginn und deshalb hatte ich auch die Krankenkassen-Karte und den Blutgruppenausweis dabei. Harald chauffierte uns liebenswürdigerweise, und Anneliese beobachtete Start und Landung sowie den Flug als irdischer Schutzengel.
Mit Anneliese habe ich außerdem die Kommunikationsmöglichkeiten in ihrer Umgebung geprüft. Wir recherchierten gemeinsam auf meinem Laptop im Internet nach Kontakten zu Schwerhörigen bzw. zu Selbsthilfegruppen in ihrer Region.
Am Abend gabs ein Lagerfeuer... Klarer, sternenklarer Himmel, ein ordentliches Feuer – die Küche stellte uns Stockbrotteig bereit.
Als die ersten schon weg gehen, taucht Uli auf und nun wird es gesellig. Spielt doch mal 'Ich packe einen Koffer' ohne zu sprechen, nur mit Gebärden oder Pantomime. An Thomas ist glatt ein Pantomime verloren gegangen – besser könnte es auch ein Profi-Schauspieler nicht…
Woche 4: Sonntag
Hamburg mit Lorenz steht auf dem Plan… Harald hat zuvor die Verbindungen herausgesucht, Frank das Ticket besorgt, Lorenz empfängt uns am Hamburger Hauptbahnhof.
Bei schönstem Wetter führt Lorenz uns zu den Anlegebrücken und zum alten Elbtunnel. In über 26 Meter Tiefe führt dieser unter die Elbe ans andere Ufer. Einen reichlich halben Kilometer hat man unter Wasser zu gehen und dann wieder weit mehr als 100 Stufen hoch bzw. runter...
Am Aussichtspunkt gegenüber den Landungsbrücken bietet sich uns ein herrliches Panorama mit Ausflugsdampfern, großen und kleinen Schiffen, Möwen, Hamburger Skyline... Auch die berühmte Davidwache ist zu erkennen. Zurück auf der anderen Seite führt Lorenz uns in ein portugiesisch-spanisches Viertel, wo sich unsere Wege teilen. Jeder sucht sich ein Plätzchen zum Verweilen und Kaffee genießen.
Woche 4: Montag
Morgenlauf wie gewohnt, die Zeitung für Herbert bringen wir mit.
Nach dem Frühstück erwartet uns Anja um 9 Uhr zum Absehen. „Heute wird es zur Abwechslung mal lyrisch“, kündigt sie für heute Gedichte an. Jeder darf mal ohne Stimme vortragen. Wenn langsam und deutlich gesprochen wird, ist der Lückentext für mich lösbar, aber manchmal muss ich doch knobeln – zum Beispiel sehe ich 'Schopf' statt 'Kopf'...
Mit Lorenz tauschen wir uns weiter zum Thema Cochlea Implantat (CI) aus. Über das CI kommen wir zum Problem mit 'Helfern' und 'Hilfe' an sich – egal, ob gut gemeint oder nicht.
Lorenz bietet mir an, noch einmal den Weg ins DHS-PORTAL zu suchen. Mit seiner Hilfe klappt es dann auch. Statt Schönheitsschlaf schaue ich mich dann neugierigerweise im DHS PORTAL um und bin erstaunt, eine Nachricht an mich zu finden. Also beantworten... Beim Weiterscrollen finde ich noch mehr Beiträge u.a. „Frank wird zum Morgensport genötigt“... Na, das muss aber richtig gestellt werden! So ist die Mittagspause schnell um.
Weiter geht es wieder mit Anja. Es gibt Organisatorisches zu besprechen wie Heimfahrt und Koffertransport, Abschlussabend und Überraschungsnachmittag, Gruppenfoto und mehr.
Woche 4: Dienstag
Uli, der Philosoph: Nach der Geschichte über Herberts Begegnung am Kanalufer – “Was brauchen Sie denn eine Reha, Sie hören doch!“ – kommen wir zum Thema.Uli sagt: „Ich fühle mich wie ein Mensch mit Wackelkontakt, mal gut, mal taub...“ Und gleichzeitig legt er uns ans Herz: „Ihr seid nicht behindert, ihr seid Kommunikationsexperten“.
Bernd lebt mehr in der Welt der Gehörlosen. Was ist da besser oder anders? Die Gehörlosen betrachten sich als Sprachgemeinschaft, nicht als Leidensgemeinschaft.
Die Hörgerätewerbung suggeriert: Beste Technik, besseres Hören! Wer es nicht kann, ist selber schuld. Das erzeugt Scham und nicht das positive Gefühl dazuzugehören...
Die drei Stunden waren wieder so interessant, auch als es um das Thema von Markus ging, 'Rücksicht', und wo Markus und ich feststellten, wie schnell wir doch selbst trotz aller guter Vorsätze 'rücksichtslos' sein können...
Einige Gedankensplitter noch...
- Die Gebärdensprache ist nicht nur Sprache, sondern auch Lebensgefühl.
- Möglicher Nachteil der Inklusion: Wenn gehörlose Kinder eine normale Schule besuchen, wie soll sich da die Gebärdensprache weiter entwickeln?
- Nehmt die Hörschädigung zum Anlass, euch auch einmal auf neue Welten einzulassen.
Nach dem Mittagessen sind Zahlen an der Reihe. Um diese zu gebärden, muss man ganz schön fit sein und beide Hände im Einsatz bewegen können. Schlagzeuger, Klavier- und Keyboardspieler sind da im Vorteil.
Woche 4: Mittwoch
Draußen ist es grau in grau…Aber unser Trüppchen läuft bei jedem Wetter.
Am Vormittag stehen drei Stunden Sozialrecht auf dem Programm. Einiges davon ist mir schon bekannt. Wichtig beim Feststellen des Grads der Behinderung (GdB) sind die Aussagen der Fachärzte. So muss man darauf achten, ob z.B. der Tinnitus erwähnt ist und mehr. Markus möchte wissen, ob er eine persönliche Untersuchung anfordern kann? Eggert empfiehlt, lieber einen anderen Arzt aufzusuchen. Den gesamten Vortrag erhalten wir als Kopie zum Nachlesen.
Der angekündigte Berater der Rentenversicherung ist leider krank und so entfallen die gewünschten Einzelgespräche. Schade, ich wäre gern ein paar Fragen los geworden.
Ab 14 Uhr gibt es eine Überraschung. Die Gruppe wünschte sich einen Ausflug ins Wikingerdorf. Aber der Regen macht uns einen Strich durch die Rechnung und so beschließen wir, in Rendsburg gemütlich Kaffee zu trinken.
Meine mitgebrachten Bücher fühlen sich in Rendsburg vernachlässigt. Aber mir geht es gut!
Woche 4: Donnerstag
Unser Morgengrüppchen ist das vorletzte Mal unterwegs.
Nach dem Duschen mache ich beim Anziehen der Socken eine blöde Bewegung und irgendwas in meiner linken Schulter knackt… Es schmerzt beträchtlich und ich traue mich, Thomas anzusprechen.
Der funktioniert den Fernsehraum kurzerhand zum Behandlungsraum um und „bearbeitet“ meinen Körper. Ich kann nicht sagen wie, aber es wirkt. Den Arm kann ich bewegen und am Abend ist auch der letzte Schmerz weg…
Die Kommunikationsrallye am Nachmittag ist echt spitze! Wir haben Gelegenheit alle unsere Stärken auszuspielen. Endlich bilde ich auch mal mit Bernd ein Team. Außerdem gehören noch Friedrich und Elke zu uns. Wir haben viel Spaß bei Friedrichs Pantomimenspiel.
Woche 4: Freitag
Ein letztes Mal Kanal am Morgen…Über das Gruppenfoto freuen sich Ilona, unsere Putzfee, Markusa und Co in der Küche sowie Peter, der Chefkoch.
Es folgen die Abschlusseinzelgespräche.
Den Brief an mich darf ich nicht vergessen, ich schreibe auf, wie es mir jetzt geht und was in mir vorgeht, Zukunft und Wünsche… Jeder versiegelt seinen Brief höchstpersönlich. In einem halben Jahr werden die Briefe ihre Verfasser erreichen.
Wunderbar die Idee, sich auch gegenseitig und ganz persönlich zu beschenken. Nach dem Kaffee verabschiedet sich Lorenz, meine Augen sind leicht feucht. Mit viel Einfühlungsvermögen und Geduld schärfte er in den Kommunikationsübungen unseren Blick für uns selbst und unser Umfeld. Seine (fast) letzten Worte an uns: „Dann entlasse ich euch als unheilbar hörgeschädigt, als Menschen gestärkt und wertvoller als je zuvor.“
Bernd geht als Nächster. Vielleicht treffen wir uns mal in Leipzig. Dort gibt es einen regen Verein und ein großes Haus der Begegnung. Noch ein letztes Mal spazieren Frank und ich zur Brücke und genießen das leckere Eis. Beim Abendbrot ist die Stimmung etwas gedrückt, wir sind nicht mehr vollzählig.
Woche 4: Samstag
Kein Morgenlauf, Gepäck ist vorausgeschickt, die Klamotten auf dem Weg nach Hause. Frühstücken und dann irgendwie den ganzen Rest im Rucksack unterbringen.
Anja verabschiedet sich von uns. Ich habe viel bei ihr gelernt und erfahren, wie wichtig eine saubere Aussprache ist… Ich glaube, meine hat sich sogar gebessert. Wir haben Freizeit gemeinsam verbracht, geblödelt und gelacht. Danke, Anja!
Robert wird abgeholt. Noch zwei, dreimal kehrt er um… Tschüss Robert! Harald und Markus lassen sich Zeit, auch Friedrich sowie Harald und Elke haben es nicht eilig.
10:20 Uhr wird Olaf uns, Ina und ihren Sohn Mark, Anneliese und mich sowie Frank zum Bahnhof fahren.
Aus Gewohnheit schlage ich noch einmal die Rendsburger Tageszeitung auf, um nach der Guten-Morgen-Spalte mit den alltäglich-liebenswürdigen Geschichten zu schauen – und ich traue meinen Augen nicht… Wir stehen drin!
Zur Erklärung: Ich hatte unsere Begegnung mit der Radfahrerin am Kanalufer der Zeitung gemailt. Auch Frank und Harald sind begeistert, die Stimmung steigt etwas. Markus nimmt die Zeitung an sich und verspricht, den Artikel zu scannen und uns per E-Mail zu schicken…
Dann kommt Olaf und wieder heißt es Abschiednehmen. Abschied von Markus, wir zwei sind in der letzten Woche so richtig warm miteinander geworden. Dafür war wahrscheinlich die 'Problemlösung' bei Uli mit verantwortlich.
Abschied von Herbert, der uns immer frohgelaunt und manchmal mit Augenzwinkern ins Gespräch holte. Wir werden weiter in Verbindung bleiben! Auf Wiedersehen Elke und Harald! Ich bin schon gespannt, wann ihr euch den Rennsteig vorknöpft und erwarte euren Besuch. Auf Wiedersehen Friedrich, Ina, Mark, Anneliese! Und Frank, der mir schnell noch einen Brief zusteckt.
Vor dem Bahnhof heißt es wiederum Abschied zu nehmen von Olaf, dem 'Manager' im Hintergrund. Herrlich seine Bemerkung, dass er Frank „gerade auf dem Tisch hatte“ als dieser anrief, und wie wir uns das in natura vorstellten…
Ich wünsche, dass die Rehas in Rendsburg weiterleben. Was kann ich tun, wem kann ich es an oberen Stellen weitersagen? In vier Jahren möchte ich wiederkommen dürfen…
Haben Sie Fragen zum Reha-Bericht?
Wer weitere Fragen zu diesem persönlichen Bericht hat, kann sich gern an das Webteam wenden, das sich dann mit der Autorin in Verbindung setzt.
Weiterführende Infos zum Rendsburger Reha-Zentrum für Hörgeschädigte sind unter www.hoergeschaedigt.de zu finden.
Unter Hören und Verstehen haben wir kurze allgemeine Informationen zu Rehabilitationen für Hörgeschädigte veröffentlicht.
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Viele Dinge können Hörbehinderten das Verstehen erleichtern. Hier geben wir einige Tipps zur besseren Kommunikation:
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