Artikel aus FORUM 26, Winter 2006 , Seite 48 ff 

Ein berufliches Wiedereinstiegsseminar führt eine "erfolgreiche Familienmanagerin" in die Krise. Als schwerhöriger Mensch entdeckt sie ein neues "Zuhause" - die DHS.

Und was machen Sie so???

von Sabine D.

Kennen Sie die Werbung im Fernsehen, eine gut gekleidete Frau erzählt über sich und fragt dann eine Andere: „ Und was machen Sie sooo???...“ Dieser gehen augenblicklich Bilder von ihren Kindern, ihrem Haushalt, vom Garten und so weiter durch den Kopf, und sie sagt nach kurzem Überlegen: „Ich manage einen gut gehenden kleinen Familienbetrieb und das mit Erfolg und Freude.“ So eine bin auch ich.

Vor einem Jahr überlegte ich mir, nach 18-jähriger Familienphase beruflich wieder Fuß zu fassen. Voller Elan meldete ich mich für ein halbjähriges Seminar: „Wiedereinstieg in den Beruf für Frauen“ an, nicht ohne vorher abgeklärt zu haben, ob ich auch mit Hörbehinderung und Hörgeräteversorgung daran teilnehmen kann. Nein, dies sei kein Problem... Ich solle nur immer nachfragen, wenn es mal zu leise sei. Die Gruppe sei auf zwölf Teilnehmerinnen beschränkt, und so könne man auch im Kreis sitzen, hieß es.

Das hörte sich ja klasse an. Ich freute mich schon auf das beginnende Seminar. Und dann begann die große Katastrophe.

Wie so eine erfolgreiche Weiterbildung aussehen kann...

Trotz der besten Voraussetzungen bekam ich schon in der Kennenlernrunde die Namen nicht mit, geschweige denn die Angaben zu Familienstand und erlerntem Beruf. Als ich dann an die Reihe kam, bekam ich kein Wort heraus. Schließlich sagte ich doch etwas, und natürlich auch, dass ich wegen meiner Hörbehinderung nicht alles mitbekommen hätte, und dass ich Hörgeräte trage. Für niemanden ein Problem..., alle wussten jetzt Bescheid und fanden das nicht weiter tragisch.

Am nächsten Tag und auch den anderen Tagen wurde mir schrecklich bewusst, dass ich wohl nicht in der Lage sein würde, jemals wieder am Berufsleben teilzunehmen. Ich würde für immer meinen Familienbetrieb weiterleiten müssen, mit Freude selbstverständlich (Stöhn).

Während des Seminars verstand ich oft die Aufgabenstellung falsch, war aber hundertprozentig davon überzeugt, genau das zu tun, was verlangt wurde. Wie verwundert war ich dann oft, dass alles ganz anders gemeint war.
Wurde gelacht, habe ich mal eben mitgelacht, aber warum, wusste ich nicht immer. Auch habe ich manchmal nicht reagiert, wenn die Seminarleiterin mich persönlich ansprach, ich hatte das dann nicht mitbekommen. (Peinlich)

Nachgefragt habe ich des Öfteren, aber ständig zu fragen ging auch nicht. Ich war so verunsichert, doch niemand bekam das wirklich bewusst mit. Mir wurde sogar oft gesagt, "so schlecht" würde ich doch gar nicht hören. (Respekt, Sabine, Respekt!)

In dem Seminarkreis fühlte ich mich trotz der Schwierigkeiten angenommen, doch dann kam der zweite Teil des Seminars.


Erkenntnis im lauten Labor...

Es standen zwei Praktika in Betrieben meiner Wahl an, über sieben Wochen. In meinem Beruf als MTA im Krankenhaus konnte ich mal wieder hineinschnuppern. Es war einfach toll, nach so langer Zeit wieder im Labor zu arbeiten. Doch der Krach dort, die Lüftungsanlage über mir, die Geräte und Zentrifugen neben mir, das Geratter von Weckern vor und hinter mir, die Mitarbeiter, die sich über zehn Meter noch unterhalten konnten, das Gesumme und Gebrumme von Kühlschränken, damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.

Ich wurde nervös. Am liebsten hätte ich meine Geräte aus den Ohren gerissen, denn der Geräuschpegel ließ meinen Tinnitus wieder lauter werden. Mit meinen Geräten verstand ich niemanden so wirklich. Auch dort wieder allgemeine Verunsicherung meinerseits. Diesen Beruf würde ich also auch nicht mehr ausüben können, aus der Traum.

Aber was sollte ich denn jetzt machen??? Umschulung??? Aber ich war doch mit Leib und Seele Laborantin und wollte gar nichts anderes. Wer war denn mein Ansprechpartner, wer verstand mich denn??? (Von Technik für mich als Schwerhörige, davon hatte ich noch nie zuvor gehört).

Endlich war das halbe Jahr um und ich bekam wie die anderen Teilnehmerinnen eine Urkunde für die erfolgreiche Teilnahme am Seminar.

Erfolgreich hat sie dies..., erfolgreich hat sie jenes..., sie kann wieder in den Beruf zurück mit ihrer erfolgreichen Sicht der Dinge…, etc. etc. Erfolgreich hat sie ihr Praktikum absolviert...
Was war ich doch erfolgreich gewesen..., vor allem im Nichtverstehen..., im Schauspielern..., im so Tun, als ob alles Bestens sei..., erfolgreich im Kombinieren ..., ich stehe über den Dingen..., erfolgreich in der Aussage, ich stehe zu meiner Hörschwäche (Ha,Ha), was haben sie nochmal gerade gefragt (Ha,Ha)???????????

Was war ich doch für eine tolle, erfolgreiche Frau...

Aber warum war ich so traurig??? Warum so ausgelaugt, wo ist meine Kraft geblieben??? Ich verstand das erste Mal, dass nicht mein lauter Tinnitus mein Problem ist, sondern die Kommunikationsprobleme wegen der Hörbehinderung. Ich wollte mittendrin sein im Leben und fand mich isoliert irgendwo, aber wo?

In meiner Familie ging das ja noch (dachte ich erfolgreich, welch Irrtum)..., aber draußen in der Berufswelt, oder in großen Gruppen, nein.

Über die Tinnitus-Liga kam ich dann an die Adressen der Deutschen Hörbehinderten Selbsthilfe und von Anne Jung (damaliger Vorstand, die Red.). Seit dem geht es mir wieder richtig gut.

Ich nahm in Bad Berleburg an einem Kommunikationsseminar bei Erika Classen teil und da fühlte mich schnell zu Hause.

  • Endlich Menschen, die mich verstehen, weil sie dieselben Probleme haben.
  • Endlich Informationen über Möglichkeiten, besser damit umzugehen, und vor allem der Austausch mit anderen bewegte mich sehr.
  • Endlich, endlich… keine Lügen mehr erfinden. Ich bin nicht alleine mit meinem Problem, und das gibt mir so viel Kraft zurück.

 Auch in Bad Honnef beim Herbstseminar 2006 war ich sehr glücklich, viele nette Leute kennenlernen zu dürfen. Das erste Mal erlebte ich eine Gebärdensprachendolmetscherin live, und nun weiß ich auch, was ein Hellschreiber ist.

Wir Könige und Königinnen...

Ich weiß nun, dass wir uns alle wie Könige und Königinnen sehen dürfen. Und dadurch, dass immer nur einer spricht und die anderen zuhören, fühle ich mich auch so.

Durch Peter Dieler habe ich sogar erfahren, dass es Technik gibt, die wirklich hilft.

Durch das Seminar habe ich wieder neue Eindrücke mit nach Hause nehmen können. Und ich möchte noch mehr erfahren und wissen. Neuerdings ist sogar meine Telefonspule aktiviert, aber das ist eine andere Geschichte.

Nun bin ich seit April als neues 'Schlappohr' dabei und habe es noch mit keiner Sekunde bereut. Vielleicht gibt es irgendwann einmal eine Möglichkeit für mich zum Besuch einer Selbsthilfegruppe vor Ort – Rheinland Pfalz ist noch ein unentdecktes Land und muss noch gefunden werden. Wo seid ihr alle??? Wäre doch klasse.

"… Und was machen Sie sooooo???"

Ich manage immer noch meinen kleinen gutgehenden Familienbetrieb mit Freude und bin eine erfolgreiche, mit viel Erfolg..., erfolgreiche..., erfolgreiche..., tja,eine erfolgreiche Überlebenskünstlerin mit Schlappohren.

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