Artikel aus FORUM 25, Sommer 2006, Seite 44 ff
Lautsprache begleitende Gebärden (LBG) sind eine gute Unterstützung für schwerhörige Menschen. Eine Teilnehmerin eines von der Deutschen Hörbehindertenselbsthilfe organisierten Gebärdenkurses stellte sich die Frage: "Schaffe ich es ohne Hörgeräte?" und kommt zu einer wunderbaren Selbsterkenntnis.
Mein Ausflug in die Welt der Gehörlosen
von Karola Bittner, Boxberg
Ich bin hochgradig schwerhörig und kann mich unter hörenden Menschen nur über meine Hörgeräte verständigen. Als Teilnehmerin des LBG-Workshops vom 11. bis 17. Februar 2006 machte ich eine wunderbare Erfahrung.
Bereits im Vorjahr gehörte ich zu den Neugierigen, die ihre Gebärdensprachkenntnisse erweitern, festigen und vervollkommnen wollten. Da der Kurs damals für bereits Fortgeschrittene ausgeschrieben war, ich aber nur über wenige Gebärdensprachkenntnisse verfügte, hatte ich anfangs höllische Angst davor, mich zu blamieren.
Doch im Laufe des Kurses merkte ich, dass meine Angst völlig unnötig war. Es gab ausführliche verständnisvolle Erklärungen und Erläuterungen zu Gebärden und Finger-Alphabet, und das mit einer Engelsgeduld, dass man es einfach begreifen musste, das war fantastisch. So war für mich völlig klar, dass ich beim nächsten Mal wieder dabei sein musste. In meinem ersten Kurs war ich ja schließlich ein „ABC-Schütze“ gewesen, dieses Jahr wollte ich als „Alter Hase“ dabei sein.
Schaffe ich es auch ohne Hörgeräte?
In meinem tiefsten Inneren hegte ich heimlich den Wunsch: „Vielleicht schaffst du es, die Hörgeräte einmal auszuschalten und dich nur mit Gebärden zu unterhalten.“
Ich kann euch sagen, es kam viel, viel besser. Eine Kursteilnehmerin hatte bereits von ihrer schönen Erfahrung berichtet, wie sie es geschafft hat, ohne Hörgeräte zu kommunizieren und wie wunderbar es für sie war. Sollte ich das auch schaffen? Ich traute mich nicht. Dabei konnte es nach den vielen Übungen doch gar nicht mehr so schwierig sein.
„Du gebärdest gut“, bekam ich einige Male zu hören. Dann „schubste“ mich auch Lorenz, unser Kursleiter, an: „Nimm deine Hörgeräte einfach heraus und versuch es ohne“.
Ach, sollte ich das wirklich ausprobieren? - zögerte ich. Dann wagte ich doch den schweren Schritt.
Am nächsten Morgen sagte ich mir: Zum Frühstück gehst du "ohne" und nachher kannst du die Hörgeräte ja wieder hineinstecken.
Ich muss nur verstehen, was ich sehe!
Aber nein! Ich erlebte ein wunderbares Frühstück – kein störendes Klappern und Scherbeln von Geschirr – kein störendes, lautes Gespräch oder Geräusch aus dem Hintergrund und um mich herum. Mein Gespräch konzentrierte sich auf das, was meine Augen erfassten.
Ich hatte das Gefühl, ich brauche nur das zu verstehen, was ich sehe. Und das war wunderbar. Mir kam es so vor, als könnte ich mich viel entspannter und lockerer unterhalten.
Natürlich hatte ich meine Gesprächsteilnehmer darauf hingewiesen, dass ich keine Hörgeräte trage. Auch wenn wir manchmal "stolperten", klappte es für mich erstaunlich gut.
Flügel der Erleichterung
So entschloss ich mich, es den ganzen Tag "ohne" auszuprobieren. Es funktionierte wunderbar und so passierte es, dass ich mich fühlte, als könnte ich die ganze Welt umarmen. Alles um mich herum kam mir plötzlich so leicht vor, als hätte ich eine schwere Last verloren und stattdessen Flügel bekommen. Ich erlebte ein Gefühl der Erleichterung, das für mich nur schwer zu beschreiben ist. Es war ein wunderbares Erlebnis für mich, als hätte ich die Probleme der hörenden Welt einfach ausgeschaltet.
Natürlich ist mir klar, dass all das nur möglich war, weil alle Kursteilnehmer sehr verständnisvoll und rücksichtsvoll miteinander und untereinander umgingen.
Zu Hause, wieder in der Welt der Guthörenden, gibt mir diese gute Erfahrung sogar Kraft, die trotz guter Hörgeräte bestehenden Probleme der Schwerhörigkeit, besser zu ertragen. So freue ich mich schon heute auf den nächsten LBG-Kurs. Man lernt nie aus und alles kann nur besser werden.
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