Hörgeräte-Versorgung ohne Zuzahlung?

Nach den bisherigen Erfahrungen mit der eher bitteren Versorgungspraxis ist kaum anzunehmen, dass Krankenkassen und Leistungserbringer es schaffen, kurzfristig über Leistungsverträge die vom BVG in seinem Urteil mehrfach angemahnte ‚ausreichende' Hörgeräte-Versorgung ohne Zuzahlungen umzusetzen. Zum einen haben sich ‚aus der Not heraus' bereits mehrere zweifelhafte, konkurrierende Versorgungsmodelle herausgebildet. Zum anderen sieht das BVG höchstselbst weiteren gerichtlichen Klärungsbedarf zur Begrifflichkeit, was ‚im allgemeinen' unter einer ‚ausreichenden Versorgung' im Sinne des § 35, Absatz 5, Satz 1 SGB V zu verstehen ist (Randziffer 145).

Sollen wir betroffenen Hörgeschädigten deshalb über dieses Urteil jubeln? Können wir uns wirklich als ‚Verfahrenssieger' fühlen? Zugegeben, mit diesem Grundsatzurteil ist jetzt der Rahmen klarer abgesteckt, wie die Versorgung mit Hilfsmitteln über Festbeträge zu erfolgen hat. Probleme und Schwachstellen sind benannt. Gleichwohl ist es aber meiner Meinung nach die denkbar schlechteste aller Lösungen, zwölf Jahre nach Einreichen der ersten Klagen Betroffene wiederum auf den zähen und beschwerlichen Rechtsweg zu vertrösten.

Denn Fakt ist:

  • die Verbände Betroffener haben im Verfahren der Festbetragsfestsetzung für Hörgeräte nur schwache Einwirkungsrechte,

  • die gesetzmäßigen Kriterien in Bezug auf die ‚im allgemeinen ausreichende, zweckmäßige und qualitativ gebotene (Hörgeräte-) Versorgung sind nicht hinreichend bestimmt und bedürfen weiterer gerichtlicher Entscheidungen,

  • eine regelmäßige, sachgerechte Überprüfung der Festbeträge gibt es nicht,

  • stattdessen wurden aus Kostengründen die Festbeträge gesenkt und die ursprüngliche Gruppeneinteilung für Hörhilfen von 9 auf letztlich 3 bzw. 4 Gruppen reduziert, bezieht man Tinnitus-Masker mit ein,

  • es gibt sie nicht, die vom BVG vorausgesetzte Preis- und Leistungstransparenz bei Hörhilfen, wie erst jüngst die Stiftung Warentest neutral feststelle,

  • das gebotene Sachleistungsprinzip ist nicht (mehr) gewährleistet, weil sich eben nicht mehr alle Hörschädigungen objektiv ohne Zuzahlungen versorgen lassen.

Das BVG-Urteil mag juristisch bedeutsam sein, bringt betroffene Hörgeschädigte dem Ziel einer allgemein ausreichenden, zweckmäßigen und qualitativ gebotenen Hörgeräte-Versorgung ohne Zuzahlung nicht entscheidend näher. Das ist nach wie vor unklar und muss in nachgeordneten Gerichtsverfahren im Einzelfall erst mühsam erstritten werden. Dabei sollte doch die zuzahlungsfreie Versorgung eigentlich längst gängige Praxis sein.....

Das ist insofern bedauerlich, als die von vielen Fachleuten geforderte ‚optimale Versorgung' mit Hörhilfen in der rechtlichen Würdigung völlig ausgeblendet wurde. Zudem stellt sich die Frage, wie betroffene Hörgeschädigte ihre Ansprüche vor Gericht beweisen sollen? Ihnen fehlen vielfach sowohl die - selbst Fachleuten schwer verständlichen - Detailkenntnisse als auch eine gebotene fachlich kompetente Unterstützung. Denn das Verbandsklagerecht des DSB in sozialgerichtlichen Verfahren ist rechtlich noch nicht eindeutig geklärt.

Für mich war diese entmutigende Tendenz in der Rechtsprechung spätestens in dem Moment erkennbar, in dem das BVG mehrere unterschiedliche Klagen gegen die ‚Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien' zu einem Verfahren zusammengefasst hat. Denn als Hörgeschädigter kann und will ich nicht einsehen, was Arzneimittel und Brillen mit Hörhilfsmitteln gemein haben sollen!

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