Artikel aus FORUM 13, Juni 2000 , Seite 17 ff
Selbsterfahrung, Kompetenz, Absehtraining, Hören und Technik... Der Erfahrungsbericht von Klaus Büdenbender gibt einen guten Überblick über die Rehabilitation für Hörgeschädigte im Reha-Zentrum Rendsburg.
Bericht von der Millenniumsreha in Rendsburg vom 15.01. bis 12.02.2000
von Klaus Büdenbender, Wilnsdorf-Rüdersdorf
Rendsburg! Nie gehört oder gesehen!? Oder doch!? Ach ja, richtig, bei unserem Familienurlaub in Büsum habe ich einen Wegweiser nach Rendsburg gesehen. Na und?
Rendsburg! Na klar! Der Tipp für Betroffene, deren Ohren genau das Gegenteil von dem tun, was sie eigentlich tun sollten, nämlich hören. Rendsburg, besser gesagt, das Reha-Zentrum für Hörgeschädigte, ist schlicht und einfach eine Top-Adresse für all die Hörgeschädigten, die lernen wollen, besser mit ihrer Hörschädigung umzugehen.
Ich wollte das auch und war daher sehr neugierig auf das, was mich dort wohl erwarten würde. Im DSB-Report hatte ich schon mal etwas davon gelesen und nicht zuletzt Anne Jung hatte mir schon öfters von ihren Eindrücken in Rendsburg erzählt. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen und sehr froh, als mir die BfA einen vierwöchigen Aufenthalt möglich machte. Auf Anhieb!
Am Samstag, den 15.01.2000 war es dann soweit. Die Koffer waren gepackt und im PKW verstaut. Für die nächsten vier Wochen mussten nun meine Frau und mein sechsjähriger Sohn Patrick ohne mich auskommen, was besonders für Patrick nicht leicht war. Aber ich hatte ihm schon im Vorfeld versprochen, auf jeden Fall das Heimreise-Wochenende zu nutzen. Da das Siegerland ca. 530 km von Rendsburg entfernt ist, steht mir eine gut fünfeinhalbstündige Fahrt bevor. Die Fahrt verlief ohne weitere Probleme. Doch endlich einen Paradeplatz zu finden, hat mich noch einige Zeit gekostet, da ich mich hier und da etwas verfahren und so unbeabsichtigt schon mal eine "Ortsbesichtigung" vorgenommen hatte.
Kurz vor 13 Uhr schellte ich an der Türe des Reha-Zentrums. Olaf Biemann öffnete mir die Tür, begrüßte mich herzlich und zeigte mir mein Zimmer. Vier Wochen - am Anfang eine schier unendlich lange Zeit - sollte dieses Zimmer nun meine Bleibe sein.
So nach und nach trafen auch die anderen Teilnehmer ein. Der Kontakt war erst noch eher zaghaft. Kam aber doch dann langsam in Schwung. Schließlich waren wir eine Gruppe von 11 Personen, worunter sich drei NF-Betroffene befanden.
Samstag Abend war Kennenlernen. Von Olaf bekamen wir eine Menge Infos und laut Olaf zum ersten Mal überhaupt wurde bei der Begrüßung mit einem Glas Sekt angestoßen. Die Flaschen hatten doch tatsächlich den Jahrtausendwechsel überlebt und das kam uns natürlich gerade recht. Schließlich sind die meisten von uns dann totmüde ins Bett gefallen. Der Sonntag war eher geprägt vom eigenen Tun der einzelnen Teilnehmer. Manche hatten auch ihre Partner mit. Andere haben Rendsburg auf eigene Faust erobert. Gespannt waren wir aber alle auf das, was da noch vor uns lag.
Montags ging es dann endlich los. Einführung in die kommenden vier Wochen. Paul Heeg fragte nach unseren Erwartungen. Je zwei Personen sollten sich gegenseitig interviewen und später den jeweils anderen der Gruppe vorstellen. Nachmittags ging es weiter mit der Organisation (Orga-Stunde) und mit Absehen bei Kerstin Zobel. Der Montag war schließlich um und wir alle geschafft.
Nur gut, dass da auch noch Monika Vorburg und Eric Zölk in der Küche waren, die uns vier Wochen mit allerlei leckeren Gerichten verwöhnt und so wieder aufgebaut haben.
Am nächsten Tag folgten die Einzelgespräche. Ich hatte vormittags einen Termin bei Lorenz Lange. Er war echt "neugierig", wollte viel von mir wissen und so haben wir uns nett und lange unterhalten. Nachmittags folgen Verhaltenstraining bei ihm und Gleichgewichtstraining bei Bernd Nissen. So zog sich das hin. Vier Wochen lang. Absehen und Fingeralphabet bei Kerstin und Ute. Selbsterfahrung bei Paul, Entspannungstraining bei Ute, Infos zum Hören und Technik bei Maren, Körpersprache bei Lorenz, Sozialrecht bei Eckert, Artikulation bei Angela und so weiter und so weiter...
Auch die Wochenenden wurden voll ausgenutzt...
An den Wochenenden waren wir entweder mit Pastorin Katharina Beste unterwegs oder mit ZDL Sebastian Kurzhals, der auch unsere Kegelabende organisierte. Katharina zeigte uns Rendsburg und Schleswig. Mit Sebastian waren wir auf Sylt. Unabhängig davon machten wir uns aber auch selbst auf Entdeckungsreise. Denn Rendsburg ist eine nette Stadt. Nicht zuletzt die gewaltige Eisenbahnbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal mit ihrer Schwebefähre und die riesen "Pötte" auf dem Kanal sind das Anschauen wert. Auch abends lässt sich einiges anstellen. Nette Lokale gibt es genug. Das Kino hat sich speziell auf Hörgeschädigte eingestellt. An der Kasse kann man einen Infrarot-Empfänger ausleihen und damit den Filmton empfangen. Eine Voranmeldung ist aber ratsam, da dies dem Kinopersonal unnötige Hektik erspart. Es gibt auch ein Theater. Aber die Chance, dort eine Karte zu bekommen, ist wie sechs Richtige im Lotto zu tippen. Letztlich verging die Zeit wie im Fluge. Die Reha war zu Ende und ich persönlich tief berührt und ungemein beeindruckt.
Ursprünglich war ich mit den Gedanken nach Rendsburg gefahren, mich einfach in alles was da kommen sollte, hineinfallen zu lassen. Unvoreingenommen wollte ich die Sache angehen. Was mir letztlich wohl auch gelungen sein mag. Beeindruckt haben mich all die vielen Diskussionen bei Paul Heeg, Lorenz Lange und Uli Hase. Die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Meinungen der einzelnen Teilnehmer waren immer wieder erstaunlich und sehr lehrreich für mich. Nie zuvor habe ich meine eigene Hörschädigung aus solchen Blickwinkeln betrachtet - betrachten müssen! Oft habe ich dennoch festgestellt, dass so wie ich in der Vergangenheit mit meiner Hörschädigung allgemein umgegangen bin, dies nicht ganz so falsch war. Trotzdem gibt es das eine oder andere, was ich hätte anders, intensiver, machen können. Ein bisschen mehr Aufklärungsarbeit, so mein Fazit dazu, wäre sicher nicht schlecht gewesen.
Lehrreich und intensiv waren auch wieder für mich das Absehen vom Mund und das Erlernen des Fingeralphabets, trotz meiner "Vorbildung". Leider habe ich zur Zeit in meinem näheren Umfeld so gut wie keine Gelegenheit, dies zu intensivieren und auszubauen. Das Erlernen von Gebärden stand nicht auf dem Lernplan, so dass wir Olaf Biemann gefragt haben, ob man dies nicht abändern könnte. Man konnte. Sozialrecht bei Eckert Pries stand auf dem Lernplan. Auch hier habe ich verschiedene Dinge erfahren, die ich so nicht kannte. Nicht zu vergessen, die "Überstunden" bei Gernot Kurzhals. Er informierte uns ausführlich über Hilfsmittel, Gerichtsurteile und vieles mehr und hat uns viel Mut zugesprochen, nicht müde zu werden, beim Beantragen von Hilfsmitteln und dergleichen.
Wir hatten auch Gelegenheit, mit Umschülern der Hörgeräteakkustikerschule aus Lübbeck zu diskutieren und sie unter anderem nach dem Grund der Umschulung zu befragen. Die Meinungen, so betrachte ich es heute im Nachhinein, reichten vom "Helfen wollen" bis "Geld verdienen". Es stellte sich heraus, dass das Erlernen der Gebärdensprache kein Pflichtfach an der Schule ist, was wir ausdrücklich bedauert haben. Lediglich auf freiwilliger Basis wird etwas angeboten, aber nicht von jedem Schüler angenommen. Eine weitere Abwechslung war der Aufenthalt von zwei Mitarbeitern der Uni Duisburg, die ein Computerunterstütztes Hör- und Sprechtrainingsprogramm vorgestellt und mit uns ausprobiert haben. Dieses Programm ist noch in der Entwicklung und wir hatten die Ehre, unsere Meinung und Verbesserungsvorschläge kund zu tun, wovon wir ausgiebig Gebrauch gemacht haben.
Weniger schön, dafür aber umso aufregender, war ein Wohnhausbrand gleich neben dem Reha-Zentrum. Einige von uns hielten Nickerchen, einer stand unter der Dusche, andere waren in der Stadt. Die Alarmanlage im Reha-Zentrum hat Gott sei Dank zwar funktioniert, aber mich hat sie nicht wach bekommen und in den Duschräumen befindet sich keine. Das Reha-Team hat uns aber dennoch vorbildlich gewarnt, damit wir schnell das Haus verlassen konnten. Passiert ist dem Reha-Zentrum nichts, auch Dank des schnellen Einsatzes der Rendsburger Feuerwehren. Der Paradeplatz glich zeitweilig einem einzigen blauen Lichtermeer. Etwas unruhiger haben wir in den nächsten Nächten aber schon geschlafen.
Einen Abschluss-Abend gab es auch. Ganz "Millennium"! Das Essen, dass Monika und Eric gezaubert hatten, war absolute Spitze. Ein Essen im First Class Restaurant ist echt nichts dagegen.
Mein Fazit:
Wenn Rendsburg nicht so weit im hohen Norden läge, dann würde ich versuchen, dort öfters eine Reha zu machen. Ich habe sehr viel mehr Mut und Tipps bekommen, mit meiner Hörschädigung zu leben und umzugehen. Die Reha hat lange nachgewirkt und es hat mehrere Tage gedauert, bis ich wieder "wirklich zu hause" war. Das Reha-Zentrum ist einfach ein Ort zum Wohlfühlen und das ganze Team einfach toll! Die müssen alle eine Engelsgeduld haben und Nerven ohne Ende. Anders kann ich mir das nicht erklären. Ich kann nur jedem sehr empfehlen, sich nach Rendsburg zu begeben.Die Zeit dort ist Balsam für unsere hörgeschädigte Seele.
Dies ist zumindest mein Fazit. Ein ganz dickes Lob und Dankeschön an dieser Stelle dem ganzen Reha-Team!!
Inzwischen hat aber auch mich das "richtige Leben" wieder eingeholt.