Artikel aus FORUM 11 Juni/Juli 1999 , Seite 19 ff
In ihrem Artikel "Kommunikationstraining für Hörgeschädigte" berichtet Marianne Becker, Kommunikationstrainerin und Audiotherapeutin, was man als hörbehinderter Mensch - aber auch als Guthörender - beachten und verändern kann, um zu einer guten Kommunikation beizutragen.
Kommunikationstraining für Hörgeschädigte
von Maryanne Becker, Berlin
Es ist hinlänglich bekannt, dass Hörgeschädigte - je nach Ausprägung ihrer Behinderung und je nach Vorgeschichte - mehr oder weniger große Schwierigkeiten haben, sich mit ihrer hörenden Umwelt zu verständigen. Weniger bekannt ist jedoch, welche Möglichkeiten auch wir haben, unsere Kommunikation selbst besser und einfacher zu gestalten.
Wir haben alle die Erfahrung machen müssen, vor allem dann, wenn wir erst später in unserem Leben schwerhörig geworden oder ertaubt sind, dass wir mit diesem einschneidenden Ereignis auf uns allein gestellt waren: mit der Hörgeräteversorgung hat der HNO-Arzt seine Schuldigkeit getan, bestenfalls bekommen wir den guten Rat mit auf den Weg, von nun an mit der Hörschädigung leben zu müssen. Weiterreichende Maßnahmen, wie eine Rehabilitation in Rendsburg oder auch Absehkurse bedürfen einer Reihe von Anträgen, die nicht nur viele und z. T. komplizierte Behördengänge (wo oftmals wieder Kommunikationsprobleme auf uns zukommen), sondern auch immer wieder Ablehnungen zur Folge haben.
Vor diesem Hintergrund galt es, Überlegungen anzustellen, wie Hörgeschädigte am besten in die Lage versetzt werden können, sich selbst aus diesem Dilemma ein Stück weit zu befreien. Genau hier setzt das Kommunikationstraining für Hörgeschädigte an.
Inhalt eines Kommunikationsseminares
Es geht dabei darum, dass jeder Einzelne zunächst erkennt und akzeptiert, welches genau seine Einschränkungen in der Kommunikation sind. Nachdem diese Phase erarbeitet, lernen die Teilnehmer, die Tatsache ihrer Hörschädigung nach außen zu transportieren, das bedeutet, sie üben, in geeigneter und erfolgsorientierter Art und Weise, jeden Gesprächspartner einerseits auf die Hörschädigung und andererseits auf die besonderen Kommunikationsbedürfnisse hinzuweisen, z. B.
"Ich bin hörgeschädigt, bitte sprechen Sie langsam und deutlich."
Die besonderen Kommunikationsbedürfnisse unterscheiden sich je nach Hörstatus und bereits beherrschten Strategien.
Das, was wir noch verbessern können, aber uns nicht bewusst ist, wird als "unerkannte Ressourcen" bezeichnet. Das sind in uns liegende Möglichkeiten, die uns bislang nicht bewusst sind bzw. die wir noch nicht systematisch eingesetzt haben.
Zuerst analysieren die Teilnehmer im Kommunikationstraining ihre Fähigkeiten im Sinne von "ich kann gut ..." und überlegen, was sie gerne können möchten, worunter sie besonders in Kommunikationssituationen leiden. Danach werden sie im Verlauf des Trainings einerseits mit verschiedenen Techniken und Methoden vertraut gemacht, z.B.
- Mundabsehen,
- Fingeralphabet,
- Mimik und Körpersprache,
- Grundlagen der lautsprachbegleitenden Gebärden,
- Raumgestaltung,
- Sitzordnung,
- Lichtverhältnisse.
Auf der anderen Seite werden auch immer wieder als Misserfolg eingestufte Situationen und ihre Folgen für das persönliche und situative Befinden der Hörgeschädigten erarbeitet.
Wenn Hörgeschädigte erst einmal gelernt haben, dass sie in der Lage sind, Kommunikatiossituationen selbst zu steuern, dabei die Erfahrung machen, dass sie dem Redeschwall der guthörenden Umwelt nicht mehr hilflos ausgeliefert sind, können sie nicht nur Ängste (vor Missverständnissen) abbauen, sondern machen einen großen Schritt in die Richtung eines gleichberechtigten Gesprächspartners. Es ist von ganz entscheidender Bedeutung für das Selbstwertgefühl, wenn man sich in Gesprächen nicht immer als Außenseiter erleben muss. Es ist ein Teufelskreis: wir hören nicht gut, verstehen manches falsch, die Beziehung zum Gesprächspartner ist oftmals gestört, weil wir nicht genau verstanden haben, nicht wissen, wie etwas gemeint war; wir ziehen uns immer mehr zurück, denn der Gemeinsamkeit mit anderen können wir nicht mehr viel abgewinnen, wir fühlen uns in Gruppen nicht mehr wohl usw ... Jede weitere Begegnung mit Menschen kann dann angstbesetzt sein, wir verkrampfen uns, stehen unter Stress und sind folglich noch schlechter in der Lage, zu hören bzw. zu verstehen.
Kommunikationstraining ist keine Angelegenheit, die nur Hörgeschädigte betrifft!
Nicht umsonst geben Manager und Führungskräfte der mittleren Ebene viel Geld für Kommunikationstrainingsseminare aus. Wer das "Funktionieren" von Kommunikation nicht begreift, wer nicht selbst das gute Kommunizieren beherrscht, hat in der heutigen Zeit im Berufsleben keine Chance. Während Mitarbeiter in früheren Zeiten vielleicht auf Grund einer anerzogenen und nicht hinterfragten Autoritätsgläubigkeit den "Befehlen" ihrer Vorgesetzten gehorchten, hat man inzwischen erkannt, dass ein anderer Umgangston erforderlich ist, will man als Chef erreichen, dass die Arbeiter und Angestellten ihr Bestes geben.
So ist der allgemeine Teil des Trainings
- was ist Kommunikation
- positive und negative Einflussfaktoren
- Mimik und Körpersprache
letztendlich ganz unabhängig vom Hörstatus der Teilnehmer. Die besonderen Aspekte kommen durch das Herausarbeiten unserer Besonderheiten - Vorteile und Defizite - zur Geltung: Blickkontakt gehört zu einer gelungenen Kommunikation dazu - dass Normalhörende damit ihre Schwierigkeiten haben, ist uns bekannt: hier sind wir im Vorteil. Auch ist meist unsere visuelle Wahrnehmung von Mimik und Haltung besser geschult. Wir müssen einfach noch ein bisschen dazulernen.
Zusammenfassend geht es also darum, zu erfahren, was in der Kommunikation so alles geschieht, und dabei unseren Besonderheiten Rechnung zu tragen. Das Ziel ist, uns trotz unserer Hörschädigung besser mit der Umwelt zu verständigen. Das Leben ist interessant und lebenswert. Wenn wir ihm offen und aktiv begegnen, können wir die Freude an der Gemeinsamkeit, an der Kommunikation erleben und unsere Behinderung besser annezuhmen.
Inhaltlich variiert das Kommunikationstraining je nach Zielgruppe ein wenig: speziell für CI-Träger wurden einige Schwerpunkte anders gesetzt, z.B. wurde mehr als in der Gruppe der Hörgeräteträger an der eigenen Sprache gearbeitet. Das Konzept beruht einerseits auf meinen Erfahrungen als Kommunikationstrainerin mit Normalhörenden, andererseits auf den Erkenntnissen und erlernten Fähigkeiten im Zusammenhang mit meiner Ertaubung sowie aus der Erfahrung aus zahlreichen Gesprächen mit Hörgeschädigten.
Seit meiner Versorgung mit CI bin ich in der Lage und vor allem der Überzeugung, andere Hörgeschädigten bei der Bewältigung ihrer Behinderung zu unterstützen und ihnen Wege der Hilfe zur Selbsthilfe aufzuzeigen.