Heft 35, Sommer 2011, S. 65 - 67
Selbstständig - und hochgradig schwerhörig. In ihrem Artikel beschreibt unser Mitglied den Weg zu einem offensiven Umgang mit der Hörbehinderung und wie sie es schaffte, Berufsalltag und Behinderung erfolgreich unter einen Hut zu bringen.
Hörgeschädigt und erfolgreich selbstständig im Beruf
– zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschließen?
Von C.P.
Ich meine nein! Meine Geschichte erzähle ich, um denjenigen Mut zu machen, die vielleicht schon lange den Schritt in die Selbstständigkeit planen. Es ist nicht immer einfach, aber es ist auch nicht unmöglich, und wer es wirklich will, wird es auch schaffen.
Trotz meiner Hörschädigung stehe ich beruflich mitten im Leben. In meiner Heimatstadt Plettenberg im Sauerland betreibe ich als gelernte Bilanzbuchhalterin und Industriekauffrau ein Buchführungsbüro mit vier Angestellten bzw. Auszubildenden. Zudem habe ich im Nachbarort noch einen Friseursalon. Mein persönliches Steckenpferd ist die Existenzgründungsberatung.
Bis vor acht Jahren war ich in einem mittelständischen Betrieb in leitender Position tätig. Als es mit dem Telefonieren endgültig nicht mehr klappte und sich Probleme in Besprechungen in großer Runde häuften, habe ich den Job aufgegeben.
Natürlich erfordert auch meine jetzige Arbeit aufgrund des hohen Beratungsanteils entsprechend viel Kommunikationskompetenz. Ich habe aber viel mehr Möglichkeiten, eigenverantwortlich Einfluss auf die Abläufe zu nehmen und sie zu steuern.
Vom Tricksen und Durchschlängeln
In den ersten Jahren habe ich mich durchgeschlängelt und trickreich versucht, mein Handicap zu vertuschen. Ich war erfinderisch im verbergen, lernte ganz gut von den Lippen abzusehen. Und vor allen Dingen habe ich ganz viel durch folgerichtiges Kombinieren ausgeglichen.
So habe ich mich irgendwie durchgekämpft. Erfolgreich zwar, aber verbunden mit einem enormen Kraftakt. Dass ich schwerhörig bin und dass die Schwerhörigkeit im Sprachverstehen an Taubheit grenzt, wussten zwar meine Freunde, meine Kunden jedoch nicht.
Durch Engagement und Leistung habe ich meine Einschränkung stets erfolgreich kompensiert. Ein sehr anstrengendes Unterfangen, das immer mehr zur Hürde wurde, bis es schließlich mit einem drohenden Burnout zum Höhepunkt kam.
Glücksfall Reha
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das große Glück, an einer Reha-Maßnahme in Bad Nauheim teilnehmen zu dürfen. Hier wurden die ersten Weichen gestellt, die dazu führen sollten, meine Behinderung zu akzeptieren. Schwerbehindertenantrag und Arbeitsassistenz waren die ersten Gehversuche nach meiner Rückkehr. Trotzdem war es noch ein langer Prozess bis zur endgültigen Akzeptanz.
Erst weitere zwei Jahre später, in der Reha in Rendsburg Ende letzten Jahres, ist mir richtig klar geworden, wie wichtig der offensive Umgang mit der Einschränkung ist. Außerdem habe ich eingesehen, dass ich mich langfristig auf eine Verschlechterung meiner Hörsituation einstellen muss und dann mit meiner bisherigen Strategie an meine Grenzen stoße.
Ich habe erkannt, dass meine berufliche Existenz auf dem Spiel steht, und habe mich in Rendsburg entschlossen, meinen Berufsalltag an die veränderte Situation anzupassen. Ausgestattet mit vielen neuen Ideen bin ich wieder heim gefahren. Dort habe ich mich Schritt für Schritt an die Umsetzung gemacht.