Brief einer Teilnehmerin an die Arbeitskollegen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

am vergangenen Wochenende habe ich an einem Seminar der Deutschen Hörbehinderten Selbsthilfe e.V. (DHS) zum Thema „Umgang mit Kränkung“ teilgenommen.
Einer der vielen Teilbereiche betraf die „Kränkung am Arbeitsplatz“, und wer Lust und Interesse hat, kann sich mit diesem – kurz gehaltenen – Bericht informieren.

Schwerhörige haben gerade bei der Kommunikation und insbesondere bei der Kommunikation am Arbeitsplatz besondere Bedürfnisse, die von den gut hörenden Kollegen oftmals vergessen oder zu wenig beachtet werden. Ein Übergehen dieser Bedürfnisse erschwert den Schwerhörigen nicht nur die Arbeit, sondern auch das soziale Miteinander und wird deshalb häufig von diesen als Kränkung empfunden, obwohl dies ganz sicher in den allermeisten Fällen von den Kollegen gar nicht so gemeint ist.
Gleich zu Anfang, als wir in der Vorstellungsrunde unsere Erwartungen an das Seminar verglichen, stellte sich heraus, dass die meisten Teilnehmer, die sich in Arbeit befinden, doch sehr ähnliche Probleme am Arbeitsplatz haben und dort auch ähnlich reagieren – dass sie nämlich viele Situationen als Kränkung bewerten, weil sie auf Dauer „dünnhäutig“ und empfindlich geworden sind.

Natürlich gibt es auch im privaten Bereich viele als kränkend empfundene Situationen, und natürlich gibt es auch viele kränkende Ereignisse, die nichts mit der Hörsituation zu tun haben – für euch möchte ich jedoch die Gelegenheiten beleuchten, die durch die Hörbehinderung hervorgerufen werden.

Es scheint relativ unabhängig, in welchem Hörstatus (mittel- oder hochgradig schwerhörig, an Taubheit grenzend oder ertaubt – mit oder ohne Hörgerät oder mit Implantat) sich der Betroffene befindet – auf die immer wiederkehrende Missachtung der Bedürfnisse reagieren wir alle ähnlich.
Dabei arbeiteten wir heraus, dass wir oftmals allzu leichtfertig voraussetzen, dass die gut hörenden Kollegen unsere unsichtbare Behinderung immer im Auge haben. Das ist aber eben nicht der Fall, und wir müssen immer wieder daran erinnern, welche Notwendigkeiten erforderlich sind, um mit uns zu kommunizieren.

Und genau dies ist einer der Punkte, die wir als Kränkung empfinden – und einer der Punkte, die die Seminarleiterin versuchte zu relativieren: „Ihr überfordert eure gut hörenden Kollegen, wenn ihr voraussetzt, dass sie immer an eure Behinderung denken“.

Ein weiterer Punkt war die Tatsache, dass wir natürlicherweise häufiger Informationen nicht mitbekommen (mit den entsprechenden, nachteiligen Folgen auf der Arbeit).

Auch fühlen wir uns gekränkt, wenn wir bei Gesagtem, bei dem wir um Wiederholung bitten, die Antwort erhalten „War nicht so wichtig“. Wir fühlen uns unsicher, da wir nie sicher sein können, alles verstanden zu haben, oder wir fühlen uns sogar entmündigt, denn jeder normal Hörende entscheidet selbst, was wichtig und was unwichtig ist. Auch wir wollen alles mitbekommen, und auch wir wollen selbst entscheiden, welche Informationen relevant sind und welche nicht.

Sehr häufig sind auch Situationen, in denen wir uns aus der Gemeinschaft ausgeschlossen fühlen, weil wir nicht alles mitbekommen. Gerade die Bemerkungen „am Rande“, kurz eingeworfene Äußerungen in Gruppenbesprechungen, Konferenzen oder auch beim Mittagstisch, über die die anderen lachen, können wir nicht oder nicht ausreichend hören – und schon fühlen wir uns im wahrsten Sinne des Wortes ausgegrenzt. Auch dieses sind von den gut Hörenden nicht registrierte, regelmäßige Vorkommnisse, die wir auf Dauer als sehr kränkend empfinden.

Im Laufe des Seminars lernten wir verschiedene Techniken, die uns nach und nach in die Lage versetzen sollen, Situationen richtig zu gewichten und zu bewerten, jedoch wurde uns auch bewusst, wie wichtig immer wieder die Einbeziehung der Kollegen in unsere Probleme ist. Nur der ständige, wert- und vor allem vorwurfsfreie Dialog über die Hörbehinderung versetzt die gut Hörenden in die Lage, die Probleme der schlecht Hörenden zu verstehen und die erforderlichen Verhaltensweisen möglichst häufig zu beachten. Und dies wird dann auch dazu führen, dass wir Betroffene uns mit unserer Behinderung besser akzeptiert fühlen und Situationen, die doch mal nicht so ganz rund laufen, nicht mehr so ernst nehmen. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, dass wir im Bedarfsfall sagen können: „Kannst du das bitte noch einmal wiederholen“, „Hab ich wieder nicht mitgekriegt, kannst du mich bitte anschauen“ oder „“Nimmst du bitte die Hände vom Mund“ und dies mit einem Augenzwinkern und Lächeln tun können – dann haben wir es gelernt, die unbeabsichtigten Situationen nicht mehr als Kränkung zu verstehen – so wie sie ja auch nicht als Kränkung beabsichtigt waren.

Als weiteren Aspekt mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass auch unser eigenes Verhalten oftmals von den Kollegen als kränkend empfunden wird – sei es, weil wir zu laut sprechen oder sei es, weil wir ungehalten sind, weil wir unsere Bedürfnisse wiederholt einfordern oder erbitten müssen.
Es wurde jedoch schnell klar, dass wir nicht erwarten dürfen, dass jeder normal Hörende ständig an unsere Behinderung denkt – eben weil sie unsichtbar ist – und vielleicht auch, weil wir durch erhöhten Einsatz von Aufmerksamkeit doch noch allerhand mitbekommen. Und natürlich müssen wir auch anerkennen, dass ein Hörbehinderter mit seinen Bedürfnissen für normal Hörende eben manchmal wirklich anstrengend sein kann – bzw. die besonderen Verhaltensweisen, die sich daraus ergeben.

Dies anzuerkennen, ist für uns Betroffene nicht ganz einfach – aber normalerweise sollte das in einem guten Arbeitsumfeld und -klima eigentlich keine Rolle spielen. Ich würde mich freuen, wenn ihr mich ansprecht, falls ihr Fragen zu Hörbehinderungen im Allgemeinen und meiner Hörsituation im Besondern habt. Gerne wüsste ich auch von euch, wie ihr mit meiner Situation umgeht oder ob ihr Verbesserungsvorschläge für unsere Kommunikation habt. Je mehr wir – zumindest in dieser Beziehung – von- und übereinander wissen, desto besser wird die Kommunikation klappen.

Übrigens: Solche Treffen von Schlappohren, wie wir uns selbst nennen, bringen trotz eines großen Arbeitspensums großen Spaß und bei aller teilweise sogar schmerzhaften Arbeit mit einem Thema auch Entspannung: Niemand muss als erstes da sein, um einen Platz ganz vorne zu ergattern, um zu hören, denn niemand braucht sich darum zu kümmern, wo er sitzt. Alle Plätze sind bestens mit Technik ausgerüstet, Gebärden- oder Schreibdolmetscher sorgen für ergänzende Deutlichkeit und überall ist so gleich gut zu hören oder eben zu lesen und zu sehen. Niemand hat ein schlechtes Gewissen, wenn man zum 5. Male „Wie bitte?“ fragt – zur Not wird gebärdet oder geschrieben. Niemand nimmt übel, wenn der Nachbar schreit (auch wenn es stört), denn wir wissen, warum das so ist. Ein respektvoller, freundlicher, ja liebevoller Umgang miteinander tut hier so richtig gut, so dass viele nicht nur wegen der Themen zu den regelmäßigen Seminaren der DHS kommen, sondern einfach nur, um die vielen Schlappohr-Freunde wieder zu treffen.

Wenn ihr wollt, könnt ihr hier mehr über die DHS lesen: www.hoerbehindertenselbsthilfe.de

Liebe Grüße

Doris

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