Artikel aus FORUM 23, Sommer 2005, Seite 17 ff
Schwerhörigkeit dient oft genug in Komödien für schnelle Lacher. Unser Autor schildert einige alltäglichen Szenen aus dem wahren Leben eines "Schlappohrs", wie sich viele unserer schwerhörigen Mitglieder selbst nennen. Humor ist, wenn man trotzdem lacht!
Alltägliche Situationen aus dem Leben eines Schlappohrs
von Bernhard Piechota
Samstagabend, die Beine hoch, Entspannung vor dem Fernseher gemeinsam mit meiner Ehefrau. Ich habe mein Hörgerät eingesetzt, denn ohne diese Hilfe müsste ich den Fernseher so laut einstellen, dass ihr die „Ohren abfallen“ würden. Plötzlich steht meine Frau auf, verlässt den Raum und geht in die Küche, um - wie ich vermute - sich ein Getränk zu holen. Alles ganz normal, bis sie mir irgendwas zuruft.
Trotz Hörgerät verstehe ich nur „ei“ und „iii“, denn unsere Küche ist etwa zehn Meter entfernt und zudem noch um zwei Ecken herum durch einen Flur vom Wohnzimmer getrennt. Außerdem irritiert der Ton des Fernsehgerätes. Jetzt sind all meine Lebenserfahrung und Kombinationsfähigkeit gefragt. Was will meine Frau von mir?
Meine Sinne sind hoch angespannt, und ich analysiere blitzschnell die Situation: Meine Frau ist in der Küche. Vor mir auf dem Wohnzimmertisch steht ein fast leeres Glas Weizenbier. Manchmal ist meine Frau auch nach über fünfunddreißig Ehejahren noch nett zu mir, also auch diesmal?
Ich kombiniere: „ei“, „iii“ - das könnte doch heißen „Soll ich dir ein Weizenbier mitbringen?“ So erfasse ich im Sekundenbruchteil die Situation und rufe ihr zu: „Ja, bitte“. Volltreffer, denn augenblicklich erscheint sie wieder im Wohnzimmer und stellt tatsächlich eine geöffnete Flasche Weizenbier an meinen Platz. Ich bedanke mich brav für den Service (...damit er auch künftig noch funktioniert).
Andere Situation: Ich sitze im Keller an der Werkbank und bastele am Innenleben eines Modellschiffes herum, im Hintergrund etwas Musik. Da ich auch mit Werkzeugmaschinen und Hammer arbeite, habe ich mein Hörgerät nicht eingesetzt. Diese Geräusche wären mit Verstärkung unerträglich. Meine Frau ruft mir von der oberen Etage irgendetwas zu, aber ich verstehe nicht das Geringste.
Blitzanalyse
Meine Blitzanalyse: Da braut sich was zusammen, lieber nicht reagieren, weiterbasteln. Wenn sie mir etwas Wichtiges mitteilen will, dann wird sie einen Weg finden, mir das so zu sagen, dass ich es auch hören kann. Schließlich ist auch ihr bekannt, dass mein Hörvermögen recht stark eingeschränkt ist.
Und tatsächlich: Kurz darauf erscheint sie in meiner „Bastelstube“ und sagt fast nebenbei, jedoch so deutlich und verständlich, dass mich meine Schwerhörigkeit auch ohne Hörgerät nicht schützen kann: „In Wohnzimmer und Küche müsste mal wieder Staub gesaugt werden“.
Jeder erfahrene Ehemann weiß sofort: Das war ein knallharter Auftrag - ein Befehl mit Anspruch auf Gehorsam, wie man in militärischen Kreisen sagen würde. Ignorieren, auf morgen vertrösten und den Hausfrieden riskieren? Lieber nicht! Also Basteln einstellen und ran an die Hausarbeit. Da muss ich durch!
Wenn meine Ehefrau ein Fazit dieser beiden Alltagssituationen ziehen würde, dann sähe das in etwa so aus: „Du Schlitzohr hörst nur was du hören willst. Das Wort Weizenbier kann ich um mehrere Ecken herum flüstern und du reagierst sofort. Die Worte Staubsaugen und Geschirrspülen sind hingegen in deinem Wortschatz nicht vorhanden oder werden beim Vorgang des Hörens herausgefiltert. Schlecht hören konntest du ja schon immer ganz gut!“
Was will man dem noch entgegenhalten. Nicht einmal die Ergebnisse meiner letzten audiometrischen Untersuchung hätten Überzeugungskraft. „Was hast du dem Laboranten gezahlt, damit er die Kurve an den unteren Rand des Erfassungsblattes verlegt?“