Artikel aus FORUM 31, Sommer 2009, Seite 33 ff
Der Artikel "Hörbehinderung und Führungsverantwortung - zwei Dinge, die sich ausschließen?" beschreibt die Herausforderung einer beruflichen Führungsposition. Die Autorin schildert ihr Erleben als Schwerhörige mit neuem Verantwortungsbereich, in Teambesprechungen und wechselnden Kommunikationssituationen. Wie lässt sich Kommunikation entspannt gestalten?
Hörbehinderung und Führungsverantwortung – zwei Dinge, die sich ausschließen???
Von B. M.
Auch eine mittelgradige Hörbehinderung kann bei einer beruflichen Veränderung zu erheblichen Umstellungen führen. Die Folgen für mein Kommunikationsverhalten sind mir im letzten halben Jahr richtig deutlich geworden.
Arbeitsplatzwechsel habe ich, seit ich Hörgeräteträgerin bin, schon zweimal erlebt – inklusive einer Umschulung. Im Moment ist der Wechsel in eine Führungsposition als Schulleiterin einer Altenpflegeschule mit etwa 150 Auszubildenden ist aber eine besondere Herausforderung. Warum?
Die Vielschichtigkeit der neuen Aufgaben, ständig wechselnde Kommunikationssituationen (Teambesprechungen, große und kleine Sitzungsräume, gute und schlechte Akustik) und die Auseinandersetzung im und mit dem neuen Aufgabenbereich sind eine zusätzliche Belastung – und akustischer Stress, dem ich eben nicht mal schnell entfliehen kann.
Vielfältige Aufgaben und neue KollegInnen
Dass wir im beruflichen Leben alle ‚Multi-Tasking-fähig’ sein müssen, ist ja nichts Neues. Aber ständig und in fast jeder Situation wieder und wieder darauf aufmerksam machen zu müssen, dass man Hörgeräteträger ist und dann ebenfalls dauernd erläutern zu müssen, dass durch die Technik eben nicht alles ausgeglichen werden kann, ist schon sehr anstrengend.
Für mich selbst Raum und Zeit zu finden – dazu hilft mir im Moment das DHS-Online-Portal, und es ist regelrecht angenehm, sich in einer "Schlappohren"-Selbsthilfegruppe tummeln zu können!
Meine Erfahrungen als Führungskraft in entsprechenden Seminaren, die ich derzeit besuche, sind äußerst vielfältig. Wir sind insgesamt über 40 KollegInnen aus der gesamten Unternehmensgruppe bundesweit, alle Geschäftsbereiche, also gewerblich-technisch, kaufmännisch und der Bereich Erziehung, Soziales und Gesundheit (in dem ich arbeite).
Wir kannten uns untereinander bisher kaum, also besteht hier ein hoher Anspruch an die Kommunikationsfähigkeit. Ich glaube, die Situation kann sich jeder vorstellen – jeder möchte vom anderen etwas wissen…
Die Hörbehinderung erklären
Aber auch wenn das Handicap schon in der ersten Vorstellungsrunde öffentlich gemacht wird, ist es schnell wieder vergessen. Meine Bedenken, die Hörbehinderung bekannt zu geben und mich dadurch scheinbar 'in den Vordergrund' zu drängen, sind immer noch vorhanden. Offensiv mit der Behinderung umzugehen, fällt mir zwar nicht mehr so schwer, aber ein Negativ-Touch schwingt für mich im Hintergrund immer noch mit.
Wenn ich dann einmal wieder auf meine Hörbehinderung hinweise, entschuldigen sich andere Personen ständig – wofür eigentlich?? Weil sie es wieder vergessen haben, dass da eine Hörbehinderung ist? Dann kann ich es ja noch verstehen. Aber was ist mit fremden Menschen, denen ich es zum ersten Mal mitteile? Wofür entschuldigen die sich?
Die Tagungsstätten sind unterschiedlich ausgestattet. Mal tagen wir in einem 'barocken Spiegelsaal' mit hohen Decken und Teppichboden. Dann wieder in einer schulmäßigen Aula mit Parkett. Abwechselnde Gruppengrößen (im Plenum und in Kleingruppen von 3 bis maximal 14 Personen) bringen die entsprechenden Geräuschkulissen mit sich, was nicht gerade zur Entlastung beiträgt. Pausen, die eigentlich der Erholung dienen sollten, habe ich bisher oft in einer stillen Ecke verbracht – dabei geht aber vieles an informellen Gesprächen verloren – leider. Auch das abendliche Zusammensitzen bei mehrtägigen Veranstaltungen kann ich nur eingeschränkt genießen – bei Geschirrklappern gibt es für mich keine Entspannung.
Vom Nutzen der Technik
Zusätzliche technische Hilfsmittel habe ich bis jetzt noch nicht ausprobiert. Ich wusste zwar, dass es Induktionsschleifen gibt und meine Hörgeräte besitzen auch eine funktionsfähige T-Spule, aber sie wurde in zehn Jahren nicht ein einziges Mal genutzt… Erst als ich das erste Mal an einem Selbsthilfegruppen-Treffen teilnahm, konnte ich diese Erfahrung machen.
Momentan muss ich auch noch die Umstellung auf neue Hörgeräte bewältigen. Dies war nicht geplant, aber die ‚alten’ sind kaputt, fünfeinhalb Jahre alt, Reparatur unwirtschaftlich – grundsätzlich passiert sowas ja meist, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann – also ein zusätzlicher Stress-Faktor.
Gibt es auch erfreuliche Tatsachen in solchen Situationen? Aus meiner Sicht schon, vor allem Anerkennung für geleistete Arbeit.
Fazit: Berufliche Veränderung heißt Arbeit an sich selbst
Wer sich neuen Herausforderungen nicht stellt, kann die Belastungen nicht beurteilen. Entscheidungen für oder gegen eine berufliche Veränderung sind immer mit Arbeit verbunden – auch mit Arbeit an sich selbst und hierbei hilft mir im Moment sehr stark die Gemeinschaft in der Deutschen Hörbehindertenselbsthilfe (DHS)!