Beitrag im FORUM 51, Frühjahr 2019: Bericht zum DHS-HERBSTSEMINAR 2018 vom 4. bis 7. Oktober 2018 in Friedrichroda

Von L. G.

Was passiert, wenn Schwerhörige darüber reden, was typisch für ihr Kommunikationsverhalten ist? Und wie Guthörende es interpretieren könnten, etwa Vorgesetzte und Kollegen? Beim DHS-HERBSTSEMINAR 2018 in Friedrichroda wurde über solche „Spiegelbilder“ herzlich gelacht – bei allem Ernst des Themas „Schwerhörig im Beruf“. Spielräume wurden uns im Seminar ebenso bewusst gemacht wie die Grenzen unseres Einflusses.

Von Anfang wichtig: die barrierefreie Gestaltung des Seminars mit Höranlage, Schrift- und Gebärdensprachdolmetschung – etwas, was viele der 24 Teilnehmer/innen im Arbeitsalltag selten erleben. Mindestens ebenso wichtig: die Atmosphäre des Dazugehörens unter lauter „Schlappohren“ inklusive Referent Peter Dieler.

Peter kennt als Betroffener und Audiotherapeut die Belastungen, mit denen schwerhörige Menschen konfrontiert sind: Unsicherheiten, ob etwas akustisch richtig verstanden wurde wie z. B. auch Aufgaben und Anweisungen am Arbeitsplatz oder beim Austausch mit Kollegen, der Hörstress, allgemein schnelleres Erschöpfen.

In der Kennenlernrunde kommen bei einigen von uns die Emotionen hoch: „Mein Problem sind immer die Arbeitskollegen – ich hasse es, von ihnen abhängig zu sein“, sagt eine. Andere berichten von schwierigen Situationen mit Vorgesetzten und Kollegen bis hin zu Mobbing. Nicht wenige kennen Zeiten der Arbeitslosigkeit oder hatten häufige Stellenwechsel zu stemmen. Andere, die bereits in (Früh-)Rente sind, hätten sich ein solches Seminar viel früher gewünscht. Sie möchten die Ergebnisse des Seminars in der Selbsthilfe-Arbeit nutzen. Mir geht es um neue Sichtweisen und auch darum, Dinge abzugrenzen: Was hat mit mir zu tun – und was mit der Schwerhörigkeit?

Gruppenbild-Teilnehmende-DHS-Herbstseminar2018

Ein Dreieck bilden – nichts leichter als das?

Zunächst machen wir eine Gruppenübung. Wir versuchen, ein gleichseitiges Dreieck mit zwei anderen Personen zu bilden. Knackpunkt ist, dass sie nicht wissen, dass wir sie ausgewählt haben. So bewegt sich jede und jeder in der Gruppe, nähert sich den ausgewählten Leuten und erreicht doch selten das Ziel. „Das ist wie im Leben – immer wieder neue Situationen!“ sagt ein Teilnehmer. Ein anderer sagt: „Man muss immer neue Standpunkte einnehmen.“ Eine Teilnehmerin: „Alles hängt mit allem zusammen – wenn ich mich bewege, bewegen sich die anderen auch.“ Für Peter ist das Dreieck ein Beispiel dafür, dass viele Faktoren etwas verändern können – auch in der Kommunikation: Ein Kollege wird befördert, die Abteilung wird umstrukturiert, jemand hat private Sorgen, von denen wir nichts wissen. Diese Dinge können die Qualität der Kommunikation beeinflussen. Wir können es nicht kontrollieren.

Das heißt, einerseits die Schwerhörigkeit muss nicht immer die Ursache von Problemen sein. Anderseits aber auch: Wenn ich mich bewege, verändere ich das System ein bisschen mit.

Beispiel: Fachgespräch mit Unsicherheitsfaktor

So befassen wir uns mit dem, was wir beeinflussen können. M. gibt uns ein Beispiel vor: Sie versteht in Fachgesprächen ihres Teams nur die Hälfte, weil da etwa 15 Leute durcheinander reden. M. mag aber auch nicht dauernd nachfragen, weil diese Fachgespräche freitags stattfinden, wenn alle bald nach Hause wollen. Sie bleibt mit der Unsicherheit zurück, ob sie ihre Arbeit fachlich korrekt ausüben kann.

Wir diskutieren in Arbeitsgruppen. Was könnte die Situation verbessern? Wir haben alle ähnliche Ideen: M. sollte um schriftliche Unterlagen bitten bzw. Protokolle, FM-Anlage oder Schriftdolmetschung einsetzen, den Termin verlegen, Vorgesetzte ansprechen, zur Vermittlung ggf. den Integrationsfachdienst einschalten oder die Schwerbehindertenvertretung…

Peter sagt zu M.: „Wenn alles so einfach wäre, hättest du es längst gemacht, oder?“ Die eine Schwierigkeit sei, dass Veränderungen ihre Zeit brauchen. Die andere, dass man in Stresszeiten wieder in „alte Verhaltensmuster“ zurückfalle. Und dann fehle Schwerhörigen oft das Wissen, um anderen die Bedürfnisse zu erklären.

Was bedeutet der Begriff „Schwerhörigkeit“ für unsere Kollegen? Der Begriff ist unscharf – selbst für uns: Im Seminar bezeichnen sich manche eher als schwerhörig, die anderen als ertaubt. Dabei spielt es keine Rolle, ob man mit Cochlea Implantat oder Hörgerät versorgt ist. Jede Schwerhörigkeit ist anders. „Bei 15 Millionen schwerhörigen Menschen braucht es 15 Millionen Erklärungsmodelle“, sagt Peter.

Auf den Zwischenruf einer Teilnehmerin „Wie oft soll ich es denn immer wieder erklären?“ sagt Peter, es sei manchmal eine Gratwanderung, die der Seele wehtue, aber es bleibe ständig unsere Aufgabe daran zu erinnern, „ich bin die, die Kommunikation anders braucht.“

Schwerhörige Kommunikation und Erklärungsmodelle

Mit unserem eigenen Kommunikationsverhalten können wir anderen Menschen vorleben, was wir brauchen. Darum geht es in der nächsten Gruppenarbeit. Denn allzu leicht klagen wir über das Kommunikationsverhalten der Hörenden und machen uns wenig Gedanken über unser eigenes. An verschiedenen Tischen im Seminarraum tauschen wir uns über die Besonderheiten in der Kommunikation von schwerhörigen Menschen aus – und wie unser Verhalten wohl bei Guthörenden „ankommt“. Mit großer Offenheit und wachsender Begeisterung und Heiterkeit gehen wir an diese Aufgabe heran: Ja, so sind wir! Oft suchen wir die körperliche Nähe, schauen die Sprecher intensiv an, häufig auf den Mund – und der Hörende fragt sich vielleicht, ob wir flirten. Manchmal fallen wir anderen ins Wort, weil wir etwas länger zum Verstehen und Reagieren brauchen – und bemerken nicht, dass gerade ein anderer etwas sagen wollte. Die Besonderheiten in unserer Kommunikation sind uns nicht immer bewusst – und wir wissen auch nicht, was der Guthörende wohl darüber weiß. Wie könnten wir es erklären?

  • Ja, wir sprechen mal „zu laut“, mal „zu leise“, und das kann für die Hörenden zu einem Problem werden. Doch wer spricht andere schon auf ihre Schwächen an? Ein Erklärungsmodell müsste die Erlaubnis enthalten, dass der Hörende mich darauf aufmerksam machen darf, z. B. so: „Mir fehlt aufgrund der Schwerhörigkeit die Kontrolle über meine Stimme, Sie dürfen mir Rückmeldung geben, wenn ich zu laut oder zu leise spreche.“
  • Wir verstehen nicht immer und merken es oft nicht. Manchmal geben wir unpassende Antworten. Hörenden fällt es schwer, es uns zu sagen. Auch hier kann eine Erlaubnis helfen: „Wenn ich merke, dass ich Sie nicht verstehe, sage ich es Ihnen. Ich merke es aber nicht immer, dann dürfen Sie mich gerne darauf hinweisen.“
  • Oft sagen wir: „Ich bin schwerhörig und du musst jetzt etwas tun“, z. B. Blickkontakt halten. Wir beginnen die Kommunikation mit einer Forderung: Der andere soll das Problem lösen. Hier schlägt Peter eine Alternative vor, die das „Wir“ verwendet, weil schließlich beide ins Gespräch kommen wollen: „Ich bin schwerhörig, wenn wir uns anschauen, kann ich Sie besser verstehen.“
  • Manchmal reagieren Schwerhörige extrem – schreckhaft, aggressiv, emotional. Hier erzählt Peter von einem als „aggressiv“ geltenden Schüler, der das folgende Erklärungsmodell hatte: „Ich bin nicht aggressiver als die anderen. Ich bin hier der, der am schlechtesten hört. Deshalb stehe ich schon grundsätzlich unter höherem Stress.“ Peter unterstreicht, dass Schwerhörige „nicht von Null auf 180“ kommen, sondern schon durch die Schwerhörigkeit eine höhere Grundanspannung haben – anders als guthörende Menschen.
  • Wir nicken und sagen „ja, ja“, auch wenn wir nichts verstanden haben – das „typische Schwerhörigenlächeln“ nennt es Peter. Es lässt uns unglaubwürdig erscheinen. „Was transportiere ich mit diesem Kommunikationsverhalten?“ fragt er. In der Kommunikation gehe es auch um Respekt. „Wäre es nicht ein Kompliment, wenn ich sage, ich möchte dich verstehen? Du bist es mir wert, dass ich den Mut aufbringe, meine Schwäche offenbare und nachfrage.“
  • Und noch etwas gehört zum gegenseitigen Respekt: Den anderen ausreden lassen. Schwerhörige sind „die einzigen, die in die Zukunft hören können,“ sagt Peter mit einem Augenzwinkern, „weil wir glauben, verstanden zu haben“.

Peter empfiehlt, dass wir unsere individuellen Erklärungsmodelle finden und üben. Und für Glaubwürdigkeit sorgen. Anstelle von absoluten Aussagen wie „so klappt es, so klappt es nicht“, empfiehlt er Aussagen, die Spielraum schaffen, wie z. B. statt „mit dem Hörgerät kann ich verstehen“ lieber sagen „mit dem Hörgerät kann ich besser verstehen.“

Weitere Beispiele:

  • „Das Verstehen ist für mich einfacher, wenn ...“
  • „Es hilft uns, wenn Sie deutlicher sprechen ...“
  • „Wenn das Radio im Hintergrund läuft, ist es schwieriger für mich.“
  • „Wenn alle durcheinander reden, ist das Verstehen für mich schwieriger. Es kostet mehr Kraft“.

Mit Bezug zu M.'s Beispiel in den Fachgesprächen könnte eine Aussage an die Kollegen oder Vorgesetzten vielleicht sein: „Bitte glaube mir, dass es schwierig für mich ist. Ich traue mich nicht, kurz vor Feierabend noch ständig nachzufragen, weil ich weiß, dass ihr alle nach Hause wollt – deshalb wünsche ich mir eine andere Lösung für diese Gesprächsrunden.“

Das Seminar macht deutlich, dass Schwerhörige etwas dazu beitragen, dass Guthörende manchmal ein komisches Bild von ihnen haben. Peter regt an: „Je entspannter wir selbst im Umgang mit unserer Schwerhörigkeit sind – und z. B. auch über einen Verhörer lachen können – desto entspannter ist auch die Kommunikation mit Hörenden.“

Mit durchweg positiven Rückmeldungen schließt das Seminar: Der Blick auf das eigene Spiegelbild hat sich gelohnt. Wir nehmen mit, wie wir mit kleinen Veränderungen in dem, was wir über uns sagen, das Thema Schwerhörigkeit „anders rüberbringen“. Es hätte noch länger dauern können, sagt einer, und dann wird auch der Wunsch nach einer Fortsetzung geäußert.

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