Forum 60, Herbst/Winter 2023: Wie alles begann
Von Erika Classen
Die 60. Ausgabe des FORUM liegt vor uns! Das ist schon ein Grund, sich an die Anfänge zu erinnern, die teilweise sehr abenteuerlich waren! Da diese Anfänge auch mit mir zu tun haben, schreibe ich gern einen kleinen Rückblick:
Ende 1989 sah ich zufällig im TV eine Sendung, von der ich noch nie gehört hatte: Sehen statt Hören. Da wurde über einen DSB-Kongress berichtet. Wenn mich nicht alles täuscht, war es das jährliche Treffen. Näheres ist mir nicht mehr in Erinnerung. Ich sah viele Menschen jeden Alters, die lustig und vergnügt da rumwieselten. Ich konnte das nicht verstehen. Die Menschen da waren alle mehr oder weniger schwerhörig oder gar taub! Wie konnte man da so lustig sein?? Mit meiner an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit und im Alter von 40 Jahren war ich gut verpackt in meinem Panzer der Abschottung und saß eher daheim zwischen meinen Büchern, und mit der Katz auf dem Schoß. Normales gesellschaftliches Leben gab es bei mir nicht mehr. Vom Berufsalltag abgesehen, hatte ich kaum Kontakt zur hörenden Welt.
Immerhin hat die Energie (und Neugier) gereicht, die eingeblendete Adresse abzuschreiben und beim DSB ein Vereinsheft anzufordern. Das kam denn auch. Damals noch nicht sehr umfangreich und im A-5-Format. Unter anderem sah ich eine Anzeige aus Rendsburg. Hier wurde für die 4-wöchige soziale Reha daselbst geworben. Mir sagte das alles nix, hatte aber gerade etwas Frust am Arbeitsplatz und der Norden unseres Landes war mir eher unbekannt. Also beantragte ich das bei der Rentenversicherung. Das war vielleicht im Oktober. Und im Januar fuhr ich bereits nach Rendsburg! Was ich dort erlebte, hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Ich bezeichne das immer noch als meine Wiedergeburt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
ARGE und BFRH
Die Hauswirtschafterin in Rendsburg war damals Käthe Rathke, die vielen von Euch noch bekannt sein dürfte. Und in meiner Reha-Gruppe war auch Christian Hartmann. Olaf Biemann war damals auch schon im Reha-Zentrum zugange und ich bekam am Rande mit, dass diese drei sich öfter über die Selbsthilfe usw. austauschten. Nachdem mein selbstgestrickter Panzer schon einige Löcher bekommen hatte, ich langsam kapierte, wie sehr uns Hörbehinderten Hilfe und Unterstützung fehlte, interessierte mich das sehr. Wie sich herausstellte, war Käthe die Leiterin der „Arbeitsgemeinschaft der Hörgeschädigten-Selbsthilfegruppen im DSB“ (ARGE). Christian war aktiv im BFRH (Bundesverband zur Förderung von Rehabilitation, Selbsthilfegruppen und Nachsorge Hörgeschädigter, Rendsburg). Aus beiden Vereinen wurde dann später die DHS. Aber auch das ist eine andere Geschichte.
Es ergab sich, dass ich von den Aktiven gern aufgenommen wurde in die Gemeinschaft und in den Vorstand der ARGE. Ich gehörte damals zu den vom Rendsburger Geist beseelten, und war von diesem mit starkem Sendungsbewusstsein geimpft. Das heißt, mir lag sehr am Herzen das, was ich in Rendsburg gelernt hatte, an andere Betroffene weiterzugeben. Ich wollte andere Hörbehinderte davor bewahren, so wie ich im Keller zu verschwinden. Ich wollte ihnen zeigen, dass man auch mit einer mehr oder weniger starken Schwerhörigkeit ein schönes und erfülltes Leben haben kann! Hier muss man immer auch im Hinterkopf behalten: Internet und so Zeugs gab es damals noch nicht. Für uns war das Fax als Kommunikationshilfe schon das Höchste! Computer gab es natürlich schon und Christian versuchte immer wieder, uns dafür zu begeistern. Leider konnten wir ihm da nicht so folgen und glaubten nicht so recht an die Zukunft dieser Technik. Und es ging da auch erst mal nur um die Kommunikation über Mails. Ein www mit Zugriff auf das Wissen der Welt war damals noch kein Thema. Das war die Zeit, in welcher ein Telefon noch per Schnur an der Wand hing und wir nicht beim Wandern in den Alpen von wem auch immer angerufen werden konnten. Schwer vorstellbar für die heutigen jungen Leute!
Das Reha-Zentrum verschickte damals jährlich ein Info-Schreiben mit Neuigkeiten aus dem Reha-Zentrum, und was immer für uns Schlappohren so interessant war. Ich lernte diese Info während der Reha im Januar 1990 kennen und fand das schön. Es gab mir ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Die Gemeinschaft der Hörbehinderten war ganz schnell meine Heimat geworden, in der ich wieder aufblühte. Auch die Arbeit bei der ARGE machte viel Spaß.
Ende 1990 bekam ich dann aus Rendsburg das nächste Info-Blatt. Darin wurde mitgeteilt, dass es leider zum letzten Mal kommt. Der Kreis der Rehabilitanden wird immer größer und das Reha-Zentrum musste mit seinem Geld haushalten. In dieser letzten Mitteilung stand u. a., dass zwei, die sich in der Reha in Rendsburg kennengelernt hatten, geheiratet haben und jetzt in Flensburg leben. Damals kannte ich die beiden noch nicht persönlich, fand diese Nachricht aber einfach schön und war traurig, dass solche Infos nie wiederkommen sollten.
Dann mach doch mal
Bei der nächsten gemeinsamen Vorstandssitzung mit ARGE und BFRH sprach ich das an und meinte, ob wir denn nicht für uns auch so eine Info rausgeben könnten. Es sollten Beiträge von den immer mehr werdenden Selbsthilfegruppen werden, die sich uns verbunden fühlten, und so auch das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Andere Infos, die für uns Hörbehinderte wichtig waren, sollten in diese Info ebenfalls rein. Und da wir auch immer mehr Seminarangebote planten, wäre das die Plattform, um Themen und Termine unter die Leute zu bringen. Die Teilnehmer der Runde fanden das alle nicht schlecht und ich war dann so naiv zu fragen, wer das denn dann machen wird. Norbert Merschieve, er war damals glaub ich Vorsitzender des BFRH, schaute mich an und meinte: Na dann mach doch mal!
Tja, da hatte ich das dann am Hals. Wir überlegten uns den Namen und fanden FORUM nicht schlecht. Auch wenn es schon das Tinnitus-Forum gab, sahen wir da keine Probleme. Und dann ging es los. Ich war Redakteurin, Druckformherstellerin und Schriftsetzerin in einem und erstellte das erste Heft, bestehend aus 2 A-4-Blättern zu A-5-Format gefaltet in meinem Kämmerchen. Damals hatte ich zwar schon einen PC. Aber im Zusammenhang mit der Arbeit an demselben war ich schon damals irgendwie immer hintendran (hat sich nicht geändert!). Ich klebte Bildchen in ausgedruckte Texte, schnitt und verschob und produzierte jede Menge Papiermüll, bis das Heft dann fertig war. Und dann kopierte und verschickte ich.
Ein wenig mühsam war es, unsere Mitglieder dazu zu bringen, auch mal Beiträge einzusenden. Vielfach wurde gesagt, man könne nicht so gut schreiben usw. Ist vermutlich immer noch so ähnlich! Trotzdem kamen genug Beiträge zusammen. Wir berichteten aus der Selbsthilfe über die Selbsthilfe und das kam gut an. Unsere mehr werdenden Seminarangebote konnten wir als DHS, die wir bald wurden, auch besser verbreiten.
Und das Heft wurde nach und nach immer dicker. Und professioneller! Zum Glück erklärte sich dann Margret Metz bereit, die Herstellung des Heftes zu übernehmen. Neben der Arbeit als Vorstandsmitglied der ARGE und später Vorsitzende der DHS war ich sehr froh über Margrets Bereitschaft. Sie war deutlich versierter im Umgang mit dem PC und der schriftsetzerischen Gestaltung als ich, und sie legte praktisch die Grundlage für das heutige Erscheinungsbild. Auch wurde das FORUM nicht mehr in meiner/einer Wohnstube zusammengesetzt und eingetütet. Wir konnten es drucken lassen.
Nach Margret war dann viele Jahre Ines Reimann für die Erstellung des FORUM verantwortlich, bis es dann in die Hände einer Redaktionsgemeinschaft gelegt wurde. Und wenn ich jetzt die jeweils neueste Ausgabe des FORUM aus dem Briefkasten hole, bin ich sehr froh und stolz, was daraus geworden ist!
„Wir schaffen das“
Wir haben in der Vergangenheit viele Klippen umschiffen müssen. Als DHS und auch mit dem FORUM. Wir haben es immer wieder geschafft und auch meine Nachfolger in der Redaktion und im DHS-Vorstand haben nie lockergelassen. Und ich hoffe sehr, dass auch die derzeitige Klippe erfolgreich umschifft werden kann. Ich sag’s mal frei nach Merkel: „Wir schaffen das“. Und wie Ihr alle wisst, geht es gemeinsam einfach besser. Die DHS und das FORUM sind uns allen sehr wichtig. Diese 60. Ausgabe unseres Vereinsheftes sollte uns allen Ansporn sein, alles zu tun, damit Verein und FORUM auch in Zukunft weiterbestehen können!