Beitrag in Forum 54, Winter 2020: Rubrik Praktisches

Text von M. G.

Als Mensch mit Hörproblemen ist frau/man ja schon einiges gewohnt. Steigerungen sind da kaum mehr möglich. Wohl wirken hörtechnische und digitale Fortschritte zum Wohle Betroffener immer segensreicher, Rahmenbedingungen und äußere Einflüsse sind hingegen immer schwerer vorherzusagen bzw. zu kalkulieren.

Je nach persönlicher Schicksalhaftigkeit hat frau/man sich in unterschiedlichsten Lebensverläufen zwangsläufig einen Hörstatus erarbeitet, der es erlaubt, mit lädiertem Gehör eine mehr oder weniger befriedigendere Teilhabe am hörend orientierten Gesellschaftsleben zu haben.

Auf einmal kommt uns Erdenbürgern eine exotische, chronisch-virenbehaftete Fledermaus in die Quere und alles ist anders. Sämtliches menschliche Leben wird von jetzt auf gleich auf den Kopf gestellt. Überall gelten fortan Abstandsregeln und Maskenpflicht, welche den bisherigen Hör- und Kommunikationsstatus nun wieder arg ins Wanken bringt…

Beides führt jetzt dazu, dass gerade eben Gehörtes noch weniger wahrnehmbar und die Sicht auf unser Gegenüber, speziell auf dessen Mundbild, Mimik und Gestik, noch weniger zu erkennen sind. Es scheint zum Verzweifeln, erneut auf die "Stunde Null des schweren Hörens" zurück geworfen zu werden. Davon zeugten schon meine ersten Erlebnisse zu Corona-Zeiten.

So wollte ich meinen Telekom-Anschluss kündigen, um wieder zu einem günstigeren Tarif einsteigen zu können. Den telefonischen Stress, ewig in der Warteschleife hängen zu müssen, wollte ich mir nicht antun, also suchte ich den örtlichen Beratungsshop auf. Zunächst galt es (natürlich) Abstand zu halten, da beide Kundendienstberater im Gespräch waren. Am Platz selbst empfing mich dann eine Beraterin hinter einer Plexiglasscheibe mit Mundschutz, die ich sofort auf mein Hörhandikap hinwies. Sie wolle sich bemühen, was ich ihr redlich ansah …

Doch eine störungsfreie Kommunikation wollte nicht so recht klappen, zumal es am zweiten Beratungsplatz recht laut zuging. Irgendwie logisch, wenn vier Menschen mit Mundschutz hinter zwei Plexiglasscheiben sich informell austauschen … Als Ausweg blieb mir noch mein Smartphone mit der Transkriptions-App, welche Gesprochenes aufzeichnet und als Handytext eigentlich wiedergibt. Schnell war aber klar, dass in dieser akustischen Umgebung der App und mir die Grenzen aufgezeigt wurden.

Genervt brach ich daraufhin die Verhandlung ab und versuchte mein Anliegen online am heimischen PC abzuwickeln. Aber das ist eine andere, nicht minder komplizierte Geschichte, die ich mir eigentlich ebenfalls ersparen wollte.

Das nächste Erlebnis in einer Orthopädie-Praxis war auch nicht erfreulicher. Weder verstand ich eingangs die Sprechstundenhilfe noch später den Arzt im Gespräch ausreichend. Wobei ich schon staunte, wie lässig der Orthopäde seinen Mundschutz betrieb. Dessen Vliesmaske rutschte hin und her und er musste sie immer wieder mit seinen Händen zurechtrücken.

Ähnlich erging es mir im Sanitätsgeschäft beim Kauf von Einlagen, in einer Augenarzt-Praxis und in diversen Apotheken. Mehr noch verwunderte mich, dass im eigentlich kommunikativ wichtigen Gesundheitsgewerbe weitergehende Lockerungen nicht möglich waren.

Dabei sahen bzw. sehen die jeweiligen deutschen Landesverordnungen Begünstigungen in Corona-Zeiten für Menschen mit gesundheitlichen Problemen durchaus vor. So ist für Menschen mit Höreinschränkungen und deren besondere Kommunikationsbedürfnisse der Mundschutz ausdrücklich nicht verpflichtend. Das hat mir unser schleswig-holsteinischer Landesbeauftrager, Prof. Dr. Uli Hase, sogar schriftlich bestätigt. Der Haken: Ich kann das bei meinem (hörenden) Gegenüber leider nicht einfordern; sie/er muss dazu bereit sein …. Und das ist in der höchst unsicheren Pandemie-Lage schon eine harte zwischenmenschliche Prüfung! Ohnehin sind doch, Corona bedingt, bislang gewohnte persönliche Kontakte bereits sehr stark eingeschränkt!

Andererseits, je länger die Corona-Pandemie andauert und je mehr neue Erfahrungen ich in ihr mache, desto leichter fällt es mir, mit ihr und meinen Mitmenschen umzugehen. Denn eines lerne ich schnell. Auch hörende Menschen haben in der Bewältigung dieser neuen Lebenssituation ihre Probleme …

So bemerke ich, dass in meiner Umgebung neuerdings lauter gesprochen wird und die Menschen sich dennoch oft missverstehen. Hier finde ich eine bereits länger erkannte Wahrnehmung im Berufsleben bestätigt, dass es eigentlich mehr Leute mit Hörschäden gibt, als es gemeinhin den Anschein hat. Hörgerät – nein danke, ich doch nicht! Ferner fällt mir auf, dass generell Kommunikationsmissverständnisse mit Abstand und Maske viel selbstverständlicher hingenommen werden, hören scheinbar alle irgendwie schwer(er)…

Missverständnisse soll es dagegen bei öffentlichen Verlautbarungen und Verhaltensmaßregeln nicht mehr geben. Denn in letzter Zeit werden auffällig mehr Gebärdensprachdolmetscher in den visuellen Medien eingesetzt, die speziell ertaubten Menschen die offiziellen Schutzmaßnahmen barrierefrei vermitteln sollen.

Dass Abstandsregeln und Mundschutz gewohnte Aktivitäten wie Flanieren, Shoppen und Restaurantbesuche ziemlich begrenzen, sind letztlich neue Erfahrungen, mit denen ein jeder erst einmal klarkommen muss, zumal aufkommender Frust sich nur schwer umleiten lässt. Schließlich wurden ja sämtliche Sport- und Freizeitangebote in diesen Zeiten notwendigerweise stark beschränkt oder sind ganz untersagt.

Das ist dann weniger eine Frage des Hörens, sondern die unverhoffte Erkenntnis, dass frau/man jetzt zwangsläufig auch weniger Geld ausgibt! Eigentlich ist das eine positive Entwicklung, mit der ich gut leben kann, wären da nicht elementare Perspektivängste. Wie geht das Geschehen weiter, auch mit der DHS? Lässt sich die Pandemie überhaupt noch irgendwie beherrschen? Fallen auch 2021 wieder wichtige Aktivitäten unserer Selbsthilfegemeinschaft und die Mitgliederversammlung aus??

Hoffen wir das Beste und versuchen wir, uns weiterhin dem virulenten Geschehen angemessen zu verhalten!

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