Hinterkopfansicht, Haare, Ohr mit CI

FORUM 38, Winter 2012

CI mit NF2: Eine Entscheidung „Für“ oder „Wider“???

Bericht von I.R.

Es war einmal… – SPRECHERSEMINAR der DHS in Bad Grönenbach vor über 10 Jahren – Wiedersehen mit liebgewonnenen „Schlappohren“.

R. kannte ich als an Taubheit grenzend schwerhörige Person. Wie oft nervte mich ihr Pfeifton aus dem Hörgerät, den sie selber nicht wahrnahm. Nun kam sie zum Seminar als frisch mit einer Innenohrprothese Versorgte und beeindruckte mich maßlos.

„Leg deinen Löffel bitte leise auf die Untertasse.“

„Ich kann die Vögel zwitschern hören.“

„Mach nicht so nen Krach mit dem Papier!“ (Upps – wie öffnet man geräuschlos eine Tüte Gummibärchen ?)

Das alles frisch nach ihrer Erstanpassung. Oooh, ich war regelrecht neidisch ob des neuen Hörens.

 

Nicht hören konnte ich schon immer gut – nicht verstehen konnte ich immer besser… Doch leider waren die Aussagen meiner Ärzte bis dato, dass ich wegen meiner Erkrankung an NF2 für ein Cochlea Implantat (CI) nicht in Frage komme. NF2 ist die Kurzform für Neurofibromatose Typ 2, es bedeutet gutartige Tumoren (Akustikusneurinome) unter anderem an den Hörnerven, die durch ihr Wachstum den Nerv beschädigen und zur Ertaubung führen. Nerv einmal kaputt, irreparabel kaputt…

Mit den Jahren wuchs der Kreis der CI-Versorgten in meinem Bekanntenkreis. Mit großer Hochachtung verfolgte ich deren Hörerfolge, interessierte mich für deren Lernprozess mit dem „neuen Hören“ – freute mich mit den Leuten, blieb aber auch immer ein Stück weit neidisch und traurig.

Ich bin gut hörend aufgewachsen. Im 30. Lebensjahr wurde nach einigen Hörstürzen und einigen klinischen Umwegen NF2 diagnostiziert. Rechts ertaubte ich und wurde in Fulda operiert. Links wurde ich 1997 mit Gammaknife behandelt, eine damals und bis heute unter NF2-Betroffenen strittige Methode. Auch diese Entscheidung bereute ich nicht, war eine gehörerhaltende OP doch nahezu ausgeschlossen.

Viele Jahre konnte ich mit meinem einem Hörgerät noch gut im Alltag bestehen. Im Grunde genommen wurde ich schleichend taub und konnte von der Fähigkeit des Mundabsehens und des Kombinierens der gesprochenen Worte profitieren. Den Krafteinsatz für die Kommunikation können nur Betroffene in ähnlicher Situation ermessen.

Für mein sieben Jahre altes analoges Hörgerät war verdienter Ruhestand angesagt, es wurde Zeit, sich nach einem neuen Gerät umzuschauen. So kam ich zu Akustiker B.

Der fragte mich: „Warum ein Hörgerät? Haben Sie schon mal über ein CI nachgedacht?“

„Ups – ich denke, CI kommt für NF2-Betroffene nicht in Frage?…", antwortete ich.

„WER sagt das? Haben Sie schon mal eine Voruntersuchung und den Promontorialtest durchführen lassen?“

 

Der Promontorialtest ist eine Methode zur Untersuchung der Reizweiterleitung vom Innenohr über den Hörnerv zum Stammhirn. Dabei wird eine Nadelelektrode durch das Trommelfell in das Mittelohr eingeführt und durch elektrische Impulsströme ein Höreindruck ausgelöst.

Beratung und Austausch vor der schwierigen Entscheidung

Es begann für mich eine Zeit des Grübelns, des Selbststudiums, des Erfahrungsaustauschs – vor allem mit NF2 betroffenen CI-Versorgten, der Suche nach einer geeigneten CI-Klinik. Es gingen einige Monate ins Land. Inzwischen hatte mein Hörgerät den Geist aufgegeben, und ich musste mich entscheiden: Für ein neues Hörgerät oder für ein CI. Grundvoraussetzung waren die Voruntersuchungen, ob ich für ein Implantat denn überhaupt in Frage käme.

Also machte ich mich auf den Weg zur professionellen Beratung, dem sich verschiedene anatomische Untersuchungen anschlossen: Computer-Tomographie, Kernspin-Tomographie, Hör- und Gleichgewichtstests, Promontorialtest und ein abschließendes Gespräch mit dem verantwortlichen Professor. Dieser teilte mir mit, dass ich für ein CI geeignet sei – allerdings nur links. Rechts war ich unwiederbringlich ertaubt, der Hörnerv leitet keine Reize mehr zum Stammhirn.

Die Entscheidungsphase war eine schwierige Zeit. Ich war mir bewusst, dass die Entscheidung einmal getroffen nicht rückgängig zu machen geht.

  • Ich riskierte den Verlust des mit Hörgerät möglichen Restgehörs. Sollte die CI-Operation erfolglos verlaufen, dann wäre ich vollständig taub – und das bis ans Ende meines Lebens.
  • Dazu kam das reale Problem, dass NF2 regelmäßige Kontrollen des Tumorwachstums per MRT erfordern. Das Akustikusneurinom (AN) könnte rezidivieren, d.h. wiederauftreten, und wäre im MRT nur noch als Schatten sichtbar.
  • Die große Angst einer Facialis-Parese, d.h. Lähmung einer Gesichtshälfte, als Operationsrisiko beschäftigte mich enorm – mehr noch als der Verlust des Gehörs.

Der Familienrat tagte – das Urteil wurde gefällt: pro CI. Anfang Juni 2011 wurde ich im CI-Zentrum der Uniklinik Dresden implantiert.

 

Mir war klar, dass ich in den vier Wochen nach der Operation bis zur Erstanpassung taub sein würde. Dieser Monat war eine wertvolle Erfahrung für mich. Ich genoss die Zeit der vollständigen Ruhe, nahm Dinge des täglichen Lebens viel bewusster wahr und konnte mich ohne geräuschvolle Ablenkungen auf das Absehen konzentrieren. So schwierig war das also gar nicht. Wertvoll war diese Erkenntnis auch dahingehend, dass ich - selbst bei einer Ertaubung - eine für mich geeignete Kommunikationsform finden würde.

In den letzten Tagen vor der Erstanpassung wurde ich dann zunehmend kribbelig und neugierig auf den spannenden Moment, wo der Sprachprozessor angeschaltet werden sollte.

Hören wiederentdecken und neu erschließen

Bingo – ich höre etwas. WAS da bei mir ankam, war für den ersten Moment etwas erschreckend –Töne wie aus dem Micky-Maus-Land registrierte mein Gehirn. Na schön, ich war darauf vorbereitet, dass nun eine anstrengende Zeit des „Neu-Hören-Lernens“ bevorstand. Beschränkten sich die unmittelbar ersten Eindrücke auf das Verstehen meines Gegenübers, machte ich mich beim Verlassen des Technikerraums sofort auf die Suche nach weiteren Höreindrücken. Es war zwar nicht bewusst, doch der Gang auf die Toilette war unausweichlich ob der gerade geschafften und ziemlich anstrengenden Erstanpassung. Und siehe da…

Ach, sooooo hört sich das an… 

Beim Verlassen des Gebäudes wollte ich nicht glauben, dass die unbekannten, unzähligen Geräusche von den Vögeln und den Fahrzeugen kamen… Ich war schon ziemlich happy…

Die Anpassung am nächsten Tag brachte enorme Verbesserung – ich konnte ohne Abzusehen erste einzelne Worte verstehen. Das Thema war bekannt durch beigelegte Bildkärtchen, die ich zu Hilfe nehmen konnte. Ein-, zwei- und dreisilbige Worte vermochte ich rasch zu unterscheiden. Während der Fahrt mit dem Omnibus konnte ich doch wahrlich Fragmente der Durchsage verstehen. Auch die Gruppentherapie bestärkte meinen Optimismus, dass die Herausforderung zu meistern ist …

Nach fünf Tagen Reha kam ich wieder nach Hause. Im Hausflur nahm ich ein undefinierbares Geräusch wahr. Mein Mann meinte, das wäre das Ticken der Uhr. Aha! Zwei Wochen später saß ich bei meiner Tante im Wohnzimmer – und ich konnte die Uhr ticken hören.

Welch ein Wahnsinn, wann hatte ich zuletzt mit dem Hörgerät die Uhr ticken gehört???

Welcher Hörgeschädigte kennt nicht den Horror im Wartezimmer einer Arztpraxis, wenn man aufgerufen wird? Eine Zahnentzündung machte den Besuch beim Zahnarzt notwendig. Ich verstand schon im Wartezimmer den Aufruf meines Namens. Die Ärztin fragte mich dann sofort - und war auch während der Behandlung mit Mundschutz - begeistert, ob ich ein neues Hörgerät hätte. Sie wusste nix von meinem CI.

Vier Wochen nach der Erstanpassung nahm ich an einer anstrengenden mehrtägigen Arbeitsberatung teil, der ich angespannt, aber doch auch mit Neugier entgegen sah. Kollektive Hörtechnik (FM-Anlage) war beim Verein vorhanden. Meine Vorstandskollegen bescheinigten mir, dass ich viel besser verstehen würde als mit dem Hörgerät noch vor wenigen Wochen. Boah!!! Bewusst achtete ich bei der Kommunikation darauf, und siehe da, ich fragte in der Tat viel weniger nach.

Der Lernprozess mit dem neuen Hören

  • Sprache konnte ich ziemlich rasch verstehen, am Anfang natürlich nur mithilfe des Absehens. Für das Fernsehen steht mir meine eigene FM-Anlage zur Verfügung. Um mein Hörtraining zu unterstützen, verzichte ich in letzter Zeit immer häufiger auf die Einblendung der Untertitel – und kann verstehen.
  • Ich trainiere das neue Hören mit Hilfe von Hörbüchern – mit Erfolg.
  • Ich beginne wieder zu telefonieren – muss allerdings dazu sagen, nur mit mir bekannten Personen, die meine Kommunikationstaktik kennen. Ich gebe das Thema vor und weiß in etwa, welche Antworten zu erwarten sind. Lange und ausgiebige Gespräche sind im Moment noch tabu – ich bin optimistisch, dass das noch besser wird.
  • Mir unbekannte Geräusche hinterfrage ich. Es ist dennoch ein anderes Hören als mit dem Hörgerät. Zum Beispiel hat unser Nachbar einen Hund, der tagsüber gern mal bellt. Am Anfang war es für mich sehr schwer definierbar, es kommt bis heute nicht wirklich als Hundegebell an, aber wenn ich das Geräusch vernehme, sagt mir mein Gehirn: Das kann nur der Hund sein…

Inzwischen lebe ich ein Jahr mit meiner Hörprothese und bin erstaunt über die Erfolge. In den ca. alle acht Wochen stattfindenden 2-tägigen Rehas wird der Sprachprozessor neu eingestellt, beim letzten Mal verzichtete ich darauf, weil ich das Gefühl hatte, die Einstellungen seien für mich optimal.

Ein Traum hat sich bis jetzt nicht erfüllt: das Hören von Musik. Diese Herausforderung möchte ich gemeinsam mit den Therapeuten des CI-Zentrums in den kommenden Monaten in Angriff nehmen. Entweder wir schaffen das, oder ich muss nach einer anderen Lösung suchen, um Musik wieder genießen zu können. Die Fachleute meinen, es ist einfacher, sich die Musik neu zu erschließen, als alte „Ohrwürmer“ wiedererkennen zu können. Schaun wir mal, ich gebe der weiteren Entwicklung eine Chance und habe gelernt, mich in Geduld zu üben.

Mich fasziniert bis heute schwer, welche Leistungen mein Gehirn vermag. Das Gehirn muss die Sprache, die Geräusche etc. neu einsortieren und "codieren". Die Experten gehen von einem Zeitraum zwischen ein und zwei Jahren aus – CI-Bekannte sagen, dass auch danach der Lernprozess weitergeht.

Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit meiner Entscheidung pro CI. Von vielen Außenstehenden wird mir bescheinigt, dass ich besser verstehe als vorher mit dem Hörgerät. Ich bin mir bewusst, dass die Zeit des Hörens für mich begrenzt sein kann – wegen meiner Grunderkrankung mit NF2. Jedoch: warum heute schon über das "was wäre wenn???" grübeln. Ich lasse es auf mich zukommen, genieße jeden Tag mit wieder entdeckten und wieder gelernten Lauten und bin glücklich und dankbar für jedes bewusst wahrgenommene Geräusch.

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